Muzio Clementi

1752-1830


Die Erwähnung des Namens ´Muzio Clementi` löst erfahrungsgemäß drei unterschiedliche Reaktionen aus: 1. komplette Unkenntnis (selten), 2. überhebliche Abqualifizierung (ach der Etüden-Schreiber) oder 3. mitleidiges Unverständnis (reine Zeitverschwendung). Die zweite Reaktion stammt fast durchweg von ehemaligen Klavierschülern, die sich mit Clementis pädagogischem Output auseinandersetzen oder Familienmitgliedern, die dieser Auseinandersetzung zuhören mussten, die dritte von durchaus beschlagenen Kennern der klassisch-romantischen Periode, in deren Vorstellung der Italiener Clementi – noch dazu fast ausschliesslich mit Klavierwerken verbunden – im Kanon der Klassik und Romantik keine Rolle spielt. Zu Lebzeiten und auch noch danach jedoch stand Muzio Clementi in der Wertschätzung zumindest seiner Kompositionen für das Klavier neben den drei Kanon-Grössen Haydn, Mozart und Beethoven. Inzwischen erfährt Clementi immerhin durch die in überraschend grosser Zahl vorhandenen CD-Veröffentlichungen die ihm gebührende Wertschätzung. Einschränkend allerdings ist dazu zu bemerken, dass sich von Ausnahmen abgesehen die erste Garde der Pianisten mit Aufnahmen auffallend zurückhält und Clementis Sonaten im Konzertsaal kaum einmal zu hören sind. Es gibt aber ausreichend Gründe für eine nähere und intensivere Beschäftigung mit Clementis Kompositionen, ohne sogleich in die überbordende Analyse und Beschreibung der drei Kanon-Meister zu münden. Das Ergebnis könnte ein tieferes Verständnis der kompositorischen Leistung und Eigenständigkeit Clementis sein und dem Italiener die regelmässige Rückkehr in den Konzertsaal bescheren.   

 

Muzio Filippo Vincenzo Francesco Saverio Clementi wurde am 23. Januar 1752 in Rom geboren. Er war der älteste Kind eines Silberschmieds und erhielt von seinem 6. Lebensjahr an intensiven musikalischen Unterricht u.a. bei Antonio Boroni (später Kapellmeister im Vatikan). Verbürgt ist eine Anstellung als Organist in den ersten Monaten des Jahres 1766 an der Kirche San Lorenzo in Damaso. Im selben Jahr bereiste der reiche englische Adlige Sir Peter Beckford Italien, wurde auf den hochtalentierten Jungen aufmerksam und ´kaufte` ihn den Eltern für sieben Jahre ab, damit er auf seinem Landsitz in Dorset für die abendliche musikalische Unterhaltung sorgen konnte. In diesen Jahren hatte Clementi keinen Kontakt zu anderen Musikern, er war ganz auf sich selbst und sein Cembalo begrenzt, hat vermutlich extrem viel geübt, woraus sich seine immer wieder hervorgehobene außergewöhnliche Fingerfertigkeit entwickelt haben mag. Aus der Zeit in Dorset stammen sechs Klaviersonaten  op. 1, die Beckford gewidmet sind. 1774 verließ Clementi Dorset und ging nach London. Über die ersten Jahre dort ist wenig bekannt, Clementis Name taucht als Cembalist in einigen Konzertprogrammen auf und er wird erwähnt als Dirigent im King`s Theatre in Haymarket. Allmählich aber festigte sich sein Ruf als brillianter Klaviervirtuose, wozu auch die Veröffentlichung seines op. 2 beitragen hat, wiederum sechs Klaviersonaten (davon 3 mit Begleitung von Violine oder Flöte), von denen besonders die zweite, die sogenannte ´Octave-Lesson` sehr gut beim Publikum ankam, während die vierte in A-Dur im Jahr 1779 einen bemerkenswerten Vorgeschmack auf vielfach von frühromantischen Komponisten bis hin zu Chopin eingesetzten harmonischen Floskeln liefert. Weitere Veröffentlichungen dieser frühen Jahre sind op. 3 und 4 (3 Duette für Klavier zu vier Händen sowie 9 begleitete Sonaten (Violine oder Flöte). 

1780 entschloss Clementi sich zu einer Konzertreise auf das europäische Festland, die ihn zunächst nach Paris und – wahrscheinlich - einem Auftritt vor Königin Maria-Antoinette führte. 1781 besuchte Clementi Wien und am 24. Dezember dieses Jahres kam es an der Wiener Hofburg zum berühmten Virtuosenwettstreit mit Mozart, der ihn zunächst für seine technischen Fähigkeiten lobte, später aber als ´Scharlatan` bezeichnete. Über weitere Stationen dieser Reise ist lediglich bekannt, dass Clementi sich in Zürich und wohl längere Zeit in Lyons aufhielt, wo er sich wahrscheinlich in seine Schülerin Victoire Imbert-Colomés verliebte und, nach einer kurzen Zeit in London im Jahr 1783, wieder nach Lyons reiste und vermutlich versucht hat, seinen jungen Schützling zu entführen. Der Vater des jungen Mädchens schaltete die Polizei ein, die das Paar in der Schweiz aufspürte und das junge Mädchen ´befreite`. Clementi versteckte sich eine Weile in Bern, kehrte aber etwa im Mai 1785 nach London zurück. In die Zeit dieser Wanderjahre fallen das immer wieder für Verwirrung sorgende Ouevre 1 (im wesentlichen eine Bearbeitung der Sonaten op. 1, die Clementi für Auftritte in Paris erstellte und veröffentlichen liess) sowie die op. 5 bis 13 (im wesentlichen Klaviersonaten, teilweise mit Violin- oder Flötenbegleitung und jeweils ein Stück vierhändig und für 2 Klaviere).

Die nächsten 17 Jahre von 1785 bis 1802 verbrachte Clementi hochanerkannt als Komponist, Lehrer, Virtuose, Dirigent und Unternehmer (Verleger und Instrumentenfabrikant) ausschließlich in London. Er wurde zum Principal Composer und Performer der Hanover Square Grand Professional Concerts ernannt, trat aber auch in der rivalisierenden Konzert-Serie des Impresarios Johann Peter Salomon auf, der Joseph Haydn ab 1791 in London etablierte. Clementi beendete seine öffentlichen Auftritte im Jahr 1796, verlegte sich danach noch stärker auf seine Tätigkeit als Klavierlehrer und Unternehmer. Zu seinen Schülern zählten neben zahlreichen Mitgliedern der englischen Oberschicht Berufsmusiker wie Johann Baptist Cramer, Benoit-Auguste Bertini und John Field. In diesen 17 Jahren entstanden wiederum zahlreiche Klavierkompositionen, aber auch die beiden Sinfonien op. 18. Die Werkliste Clementis umfasst bis 1802 die Opusnummern 14 bis 42, seine einflussreiche Introduction to the Art of Playing on the Piano Forte. Es ist sicher davon auszugehen, dass eine ganze Reihe von Clementis Kompositionen aus diesen Jahren verloren gegangen sind.

1802 unternahm Clementi eine weitere ausgedehnte Reise auf den Kontinent, in Begleitung seines Schülers John Field, um seinen geschäftlichen Interessen hinsichtlich der Vermarktung seiner Klaviere und dem Ausbau seiner verlegerischen Kontakte Schwung zu verleihen. Infolge der napoleonischen Kriege wechselten die Stationen seiner Reise häufig, viermal war er in Wien, mehrfach in Italien und St. Petersburg, wo John Field seine endgültige musikalische Heimat fand. Auch Berlin war mehrfach Ziel Clementis, natürlich war er auch in Städten wie Paris, Dresden, Prag, Zürich, Leipzig. Sein größter geschäftlicher Erfolg dieser Reise bestand im Erwerb der britischen Exklusivrechte an Beethovens neuesten Kompositionen, u.a. den Streichquartetten op. 59, der 4. Sinfonie, dem 4. Klavierkonzert und dem Violinkonzert.

1810 kehrte Clementi nach London zurück, im Gepäck neben den geschäftlichen Erfolgen auch eine fünf Jahre zurückliegende Tragödie: in Berlin hatte Clementi 1803 Caroline Lehmann kennengelernt, ein Jahr später geheiratet und im August 1805 war ihr Sohn Carl auf die Welt gekommen. Neun Tage später starb Caroline, Clementi liess den Sohn in der Obhut seiner Schwiegermutter, reiste unablässig weiter und heiratete ein zweites Mal im Juli 1811 als immerhin knapp 60jähriger. Vier Kinder gingen aus dieser Ehe hervor, zwei Töchter und zwei Söhne.

Clementi gehörte endgültig in die Reihe hochrespektierter Musiker, insbesondere natürlich in London, wo er nach Gründung der Philharmonic Society im Jahre 1813 zu einem der sechs Direktoren berufen wurde. Bis 1824 leitete er viele Konzerte dieser Reihe vom Klavier aus, auch Aufführungen seiner eigenen Sinfonien. Immer wieder reiste er auf den Kontinent, bevorzugt nach Paris und Wien. Kompositorisch waren diese Jahre im wesentlichen bestimmt von zwei Bereichen: der Komposition und Aufführung von sinfonischen Werken (dazu mehr unten im Bereich ´Orchester`) und dem Versuch, ein Kompendium für die Pianistenausbildung zu erschaffen. Dazu gehört neben den 6 Sonatinen op. 36, ein 100teiliges Werk mit dem Titel Gradus ad Parnassum, das in grossen Teilen bis heute gedruckt vorliegt.

1830 zog sich Clementi mit seiner Familie zunächst auf seinen Landsitz in Staffordshire, etwas später dann nach Evesham in Worcestershire zurück, wo er am 10. März 1832 im Alter von 80 Jahren starb. Er wurde Ende März unter großer öffentlicher Anteilnahme in Westminster Abbey beerdigt.  


KLAVIER

Klaviersonaten

Aus seinen kompositorisch aktiven Jahren sind von Clementi etwa 60 Klaviersonaten erhalten von op. 1 (6 Sonaten aus dem Jahre 1771) bis hin zu op. 50 (3 Sonaten veröffentlicht 1821), deren Spektrum vom weitgehend konventionellen Virtuosentum der ersten bis hin zu den romantischen Klängen der späten Sonaten reicht. Diese keineswegs homogene Entwicklung wird begleitet von Clementis intensiver Beschäftigung mit Johann Sebastian Bach und dem Kontrapunkt, die schon im op. 1bis (Bezeichnung nach Tyson) und den Werken in op. 5 und 6 kompositorisch in Form von mehreren, wenngleich eher etwas zähen Fugen abzulesen ist. Die frühen Sonaten von op. 1 bis op. 6 sind fast durchweg zweisätzig gestaltet mit deutlichen Anklängen an Clementis Landsmann Domenico Scarlatti und den londoner Bach, Johann Christian.

Von den drei Sonaten aus op. 2 gehörte die Nr. 2 in C-Dur, nach ihrem in Oktaven gesetzten ersten Thema ´Octave Lesson` genannt, lange Zeit zu Clementis bekanntesten und beliebtesten Kompositionen. Die ebenfalls aus dieser Reihe stammende A-Dur Sonate nimmt im ersten Satz sehr früh (1779) die ausgiebig von Romantikern wie Field und Chopin benutzten ´ornamental turns in thirds with chromatic altered notes` vorweg (Plantinga).

Eine große Überraschung bringt die ebenfalls zweisätzige Sonate Es-Dur op. 6 Nr. 2, die lt. Tyson-Katalog ca. 1780/1 mit Violin-Begleitung erschien, aber in einer CD-Einspielung der frühen Sonaten von Susan Alexander-Max als Solo-Klaviersonate enthalten ist. In dem schönen bedeutungsschweren ersten Satz - überschrieben schlicht Lento - zeigen sich bereits deutliche Anklänge an spätere Werke Clementis.

Mit den 12 häufig als ´Wiener` Sonaten bezeichneten Stücken (op. 7 – 10 – entstanden 1781-2 in Wien) erreicht Clementi eine neue Stufe: von den 12 Sonaten sind im Gegensatz zu den frühen Werken 11 dreisätzig (einzige Ausnahme op. 7 Nr. 2 in C-Dur), deutlich wird auch eine grössere strukturelle und thematische Einheit, die sich  eindeutig an der Sonaten-Hauptsatzform orientiert, weiterhin verbunden mit höchst virtuosen Passagen. In den Nummern 1 und 3 finden sich jeweils ausgedehnte, ausdrucksstarke langsame Sätze, die in Teilen aus Motiven des ersten Satzes hergeleitet sind. Das insgesamt bedeutendste Stück dieses Zyklus ist die g-moll-Sonate Nr. 3, insbesondere im ersten Satz wird höchst unterschiedliches musikalisches Material immer wieder zu einer beeindruckenden Einheit zusammengeführt. Auffällig auch die Beethoven-Antizipationen wie die häufigen ausgeprägten dynamischen Kontraste und die zahlreichen sforzando -Markierungen im ersten Satz. Der langsame Satz (cantabile e lento) lässt mit seiner profunden Lyrik gepaart mit dramatischen Untertönen und seiner harmonischen Dichte an Beethoven denken, während im Schlußsatz Clementis bekannte Oktaven schon fast Haydnschen Witz erzeugen, schließlich aber in einem leidenschaftlichen Ausbruch enden.

Ähnlich wie in op. 7 Nr. 3 erklingen auch im op. 8 Nr. 1 – gleiche Tonart g-moll – fast so etwas wie frühromantische Töne in den eher düsteren Ecksätzen, die ein zwischen heiter und melancholisch schwankendes Andante cantabile einrahmen. Nicht umsonst ist der zweite Satz des op. 8 Nr. 2 Es-Dur mit Larghetto con espressione überschrieben, eine Bezeichnung, die auf das gesamte Stück ausgeweitet werden kann, abgesehen vielleicht vom eher verspielten Schluß-Allegro. In der dritten Sonate des op. 8 ist der langsame Satz durch ein Menuett (Allegretto) ersetzt, womit alle drei Sätze ein ähnliches Tempo haben und das Stück wenig Abwechslung bietet. Die drei Sonaten op. 9 – ausnahmslos mit sehr ausdrucksvollen langsamen Sätzen versehen, besonders reizvoll dabei das Lento aus der C-Dur-Sonate Nr. 2 (besonders zu empfehlen die Aufnahme von Pietro Spada, der im Anschluß an das romantische Lento den Beginn des dritten Satzes weniger virtuos als fast intim angeht) – fallen in den Ecksätzen durch eine im Vergleich zu den voraufgehenden Zyklen op. 7 und op. 8 erhöhte Anforderung an die Virtuosität des Interpreten auf. Dies gilt ganz besonders für die dritte Sonate Es-Dur, in der hauptsächlich im letzten Satz das kontrapunktische Klanggewebe teilweise sehr dicht gestrickt ist. Vermutlich sind die drei Sonaten op. 10 vor den Werken op. 7 - 9 entstanden, auch wenn sie erst später (1783) veröffentlicht wurden. Es fehlen langsame Sätze, die durch Menuette ersetzt werden (besonders reizvoll die diesbezüglichen Stücke aus den Sonaten 1 und 2). Auch die Ausdehnung der drei Stücke deutet im Übrigen eher auf eine Nachbarschaft zu den früheren Werken hin.

Mit Sicherheit fällt auch die Komposition des op. 11, bestehend aus einer Klaviersonate Es-Dur, bei der sich besonders der Mittelsatz (larghetto con espressione) mit seiner ruhigen Schönheit einprägt und einer Toccata B-Dur, die Clementi nach eigenem Bekunden neben anderen Stücken während des Wettstreits mit Mozart gespielt hat, ebenso in die Wiener Zeit wie zumindest teilweise auch die vier Sonaten plus eines Duos für zwei Klaviere des op. 12 (veröffentlicht 1784), bei deren Nr. 1 B-Dur zunächst einmal die erheblich erweiterte Länge (über 20 Minuten) auffällt, die aus dem langen Schlußsatz entsteht, einer viel Virtuosität verlangenden Variationsreihe über die Arie ´Je suis Lindor` aus der Vertonung von Beaumarchais` Barbier von Sevilla` durch Antoine-Laurent Baudron. Über diese charmante Melodie hat auch Mozart Variationen verfasst (KV 354/299a); ein Vergleich fällt nicht unbedingt zu seinen Gunsten aus.  In den folgenden drei Sonaten – zweimal Es-Dur (Nr. 2 und 4) sowie G-Dur – ist die Spieldauer (diese drei Sonaten haben das übliche Rondo-Finale) wieder auf ´Normalmaß` (10-12 Minuten) reduziert. Hervorzuheben sind zweifellos die langsamen Sätze – heiter und gelöst in Nr. 1, sehr expressiv und einfallsreich in den Sonaten 2 und 3, besonders auffällig die fortwährenden Modulationen im Largo der zweiten Sonate. Ebenso auffällig der lebhaft-variantenreiche erste Satz der Es-Dur-Sonate op. 12 Nr. 4 (besonders anschaulich und überzeugend interpretiert von Maria Tipo). Das Duo B-Dur für zwei Klaviere op. 12 Nr. 5 ist ein ungemein gefälliges Stück, insbesondere der in zwei perlend-virtuose Ecksätze eingebettete Larghetto beeindruckt durch seine ausdrucksvolle Melodik.

Insgesamt verlässt Clementi in den 1784 entstandenen Solosonaten op. 13 Nr. 4-6 die fast ausschliesslich auf virtuose Brillianz setzende Kompositionsweise zugunsten eines eher melodischen und auf grössere thematische Kohärenz abgestellten Stils. Dabei ragt die letzte Sonate f-moll in dieser Reihe eindeutig heraus, sie wird immer wieder als beste der frühen Sonaten Clementis bezeichnet; ich gehe so weit, sie ganz generell zu seinen besten Kompositionen zu zählen in ihrer über alle drei in Moll-Tonarten gesetzten Sätze währenden emotionalen Spannung und Leidenschaft, in der bereits deutliche Vorahnungen auf Beethovens Klavierwerke der ersten Phase durchscheinen.  Überraschend und ungewöhnlich der langsame Satz mit seiner dissonanten Eröffnung und der dann folgenden Sonatenform. Es ist im übrigen nicht auszuschliessen, dass die Komposition unter dem Eindruck der unglücklichen Liebesaffäre in Lyon entstand. Sicher nicht ohne Grund hat Vladimir Horowitz, dieses Werk – neben anderen, späteren – in seine Konzertprogramme aufgenommen und eine Einspielung mit der verwirrenden Numerierung op. 14 Nr. 3 hinterlassen, nicht ohne Grund haben sich neben einer Reihe weiterer Pianisten auch Maria Tipo und Andreas Staier intensiv und erfolgreich mit der f-moll-Sonate beschäftigt.

Mit der Sonate D-Dur op. 16, dem ersten Capriccio op. 17 und der C-Dur Sonate op. 20 (alle 1786/7) folgen auf die beeindruckende Nr. 13/6 drei eher konventionelle Stücke, Plantinga spricht von ´leichter, routinierter Musik für Amateure` (S. 133). Etwa gleichzeitig entsteht ein Werk ohne Opus, die Sonate F-Dur WoO 3, die mit ihrer gewagten Rhythmik im ersten Satz bereits auf spätere Kompositionen vorausweist (insb. op. 33). Ebenfalls in diesen Jahren erscheint ein zur damaligen Zeit höchst ungewöhnliches Werk: die ´Musical Characteristics op. 19`, in denen Clementi den Stil verschiedener Zeitgenossen (in der Reihenfolge: Haydn, Kozeluch, Mozart, Sterkel, Vanhal und last not least sich selbst) in Form von jeweils zwei Präludien und einer Kadenz nachempfindet. Gleichgültig, ob es sich hierbei um ernsthafte Imitationen, Parodien oder einfach nur um Kompositionen handelt, die weniger improvisationsbegabten Pianisten ausgeschriebene Stücke an die Hand geben wollte, erzählen diese Stücke viel über die Art der Klavier-Improvisationen des 18. Jahrhunderts, wahrscheinlich war auch nicht mehr von Seiten Clementis beabsichtigt.

Von den drei Sonaten op. 23 ragt die zweite in F-Dur als einzige dreisätzige heraus, insbesondere der kurze Mittelsatz überrascht mit seinen fast überbordenden harmonischen Wendungen. Insgesamt aber wenden sich die Kompositionen eher an gebildete Dilettanten (Spada in seinem Kommentar zur eigenen Einspielung), ´anstatt aus einem echten tiefen Bedürfnis nach Ausdruck entstanden zu sein`. Bei der dritten Sonate in Es-Dur lassen manche virtuos kadenzierende Passagen an einen umgearbeiteten Satz eines Klavierkonzerts denken.  

Das Opus 24 besteht nur aus zwei Sonaten in F- und B-Dur, von denen die zweite aufgrund der thematischen Ähnlichkeit der ersten Takte mit der Eröffnung von Mozarts ´Zauberflöten`-Ouvertüre grössere Bekanntheit besitzt, obwohl die kompositorische Qualität der ersten Sonate der B-Dur-Schwester absolut nicht schwächer ist, insbesondere der dritte Satz (Variationen über ein Arietten-Thema des Franzosen Nicolas Dezède) besticht durch seinen Einfallsreichtum. Im übrigen hat auch Mozart Variationen über dieses Thema verfasst (KV 264, KV 315d), womit wir zugleich den Bogen zur zweiten Sonate op. 24 schlagen: sie beginnt mit einem Motiv, das Jahre später ganz ähnlich am Beginn von Mozarts ´Zauberflöten`-Ouvertüre steht. Bei der Neuveröffentlichung der Sonate im Jahr 1804 setzte Clementi den vielsagenden Hinweis hinzu, daß er dieses Stück beim Pianistenwettstreit mit Mozart 1781 gespielt habe und Mozart anwesend gewesen sei.

Sechs Sonaten sind im Opus 25 (Veröffentlichung 1790) zusammengefasst: drei von ihnen sind dreisätzig, Nr. 1 (C-Dur), Nr. 5 (fis-moll) und Nr. 6 (D-Dur), in den übrigen drei Stücken Nr. 2 (G-Dur), Nr. 3 (B-Dur), Nr. 4 (A-Dur) begnügt Clementi sich mit zwei schnellen Sätzen. Die Sonaten 1, 4 und 6 wecken Erinnerungen an die virtuose Verspieltheit von Clementis op. 2, im Eröffnungssatz der 4. Sonate erklingen bereits ebenfalls aus op. 2 bekannte frühromantische Töne, die später von Komponisten wie Thalberg und in mancher Passage auch Chopin zu hören sind (besonders deutlich in den Einspielungen von Pietro Spada und Howard Shelley). Aus den sechs Sonaten ragt eindeutig Nr. 5 heraus, auch hier sind alle drei Sätze analog der Sonate op. 13 Nr. 6 in moll gesetzt, schon die Bezeichnung der ersten beiden Sätze ´Piu tosto allegro con espressione` und ´Lento e patetico` lassen starke musikalische Emotionen und Kontraste erwarten, eine Erwartung, die Clementi in beiden Sätzen und ebenso im dritten, schlicht ´presto` überschriebenen Satz voll und ganz einlöst, was Plantinga zum Stoßseufzer bringt, warum nur habe Clementi nicht häufiger solche Sonaten komponiert. Eine gewisse Verwirrung kann durch die unterschiedliche Numerierung dieser 6 Sonaten entstehen: so erscheint die fis-moll-Sonate auch als op. 26 Nr. 2 (z.B. bei Horowitz) oder die D-Dur-Sonate als op. 26 Nr. 1, obwohl es in Tysons Werkkatalog nur eine Sonate op. 26 gibt, die in F-Dur steht und trotz ihrer heiteren Grundstimmung leider zu den schwächeren Kompositionen Clementis der mittleren Periode gehört.

Im Opus 33 vereint Clementi wieder drei kontrastierende Stücke zu einem Zyklus: die beiden ersten, in A-Dur und F-Dur, sind zweisätzig ohne langsamen Mittelteil gesetzt, auffällig die harmonischen Kühnheiten in beiden Stücken und eine bei Clementi selten anzutreffende langsame Einleitung mit fast schlagerhaften Anklängen des einleitenden Allegro con fuoco im zweiten Stück.  Bei der dritten Sonate in C-Dur handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um die Umarbeitung des in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts in der Bibliothek des Wiener Musikvereins entdeckten Klavierkonzerts, wofür nicht nur die erhebliche Länge, sondern auch der virtuose, brilliante Charakter des Werks spricht.  

Opus 34 (1795 veröffentlicht) vereinigt zwei jeweils dreisätzige Sonaten und zwei Capriccios. Während die erste Sonate in C-Dur mit ihrem sehr eingängigen Mittelsatz, der in Teilen an einen Schlager aus den 50er Jahren erinnert (Tiritomba), das bis dato Erreichte wiederholt und manifestiert, gehört die g-moll-Sonate zu den Höhepunkten im kompositorischen Schaffen Clementis. Sie beginnt mit einem kurzen Largo e sostenuto, das übergeht in den Hauptsatz Allegro con fuoco, dessen stürmisches erstes Thema sich aus dem Largo entwickelt. Der langsame Beginn taucht vor der Durchführung noch einmal auf, eine Eigenheit, die in Beethovens später entstandenem op. 13, der sogenannten ´Pathétique`, einen wesentlichen Teil der musik-architektonischen Grundstruktur ausmacht. Bemerkenswert ebenso das vielfache Auftauchen des markanten viertönigen Rhythmus, der etwas später das Gefüge von Beethovens 5. Sinfonie bestimmen wird.  Satz 2 – Un poco Adagio – beginnt mit einer Barcarole-artigen Melodie, unterlegt mit einem punktierten Rhythmus, aus dem im Verlauf des Satzes ein kontrastierendes Thema entwickelt.   Satz 3 – Molto Allegro – ist ein mehr als würdiger Abschluss dieses Meisterwerks, nicht nur durch die homogenisierende Rückbesinnung auf thematisches Material aus Satz 1, sondern auch durch die beeindruckende Bestätigung der harmonischen und melodischen Vielfalt der ganzen Sonate. Die vielfach geäusserte Vermutung, es handele sich bei 0p. 34/2 um eine umgearbeitete Sinfonie, scheint mir nicht glaubhaft, zu deutlich ist die Sonate eingebunden in Clementis stilistische Entwicklung als Verfasser von Klaviersonaten.

Gegenüber den Sonaten op. 34 erweisen sich die drei Stücke op. 37 aus dem Jahr 1798 als weniger dramatisch und kontrastreich, eher als einfach lebensfrohe, extrovertierte Kompositionen, schon daran erkennbar, dass alle drei mit C, G, D in Durtonarten stehen. Lediglich Nr. 3 in D-Dur weicht formal insoweit ab, als der übliche langsame Mittelsatz durch ein quasi sinfonisches Scherzo ersetzt wird und insgesamt in vielen Momenten an die Vielfältigkeit und Brillianz von op. 34 anknüpfen kann. In der D-Dur-Sonate hörte ein zeitgenössischer Rezensent die damals in England in Mode gekommene klangliche Nachahmung von Dudelsackklängen heraus, die dem Satz eine ungewohnt volkstümliche Stimmung verleiht.

Mit den drei Sonaten op. 40, die 1802 veröffentlicht wurden, erreicht Clementi eine gleichbleibend hohe Stufe der kompositorischen Reife, die bereits zuvor immer wieder in einzelnen Werken – insbesondere in den Moll-Sonaten - hörbar war. Dies zeigt sich nicht nur in der erheblichen Ausdehnung der einzelnen Werke, sondern besonders in der thematischen Komplexität und dem durchgehend hohen pianistischen Anspruch, der wahrscheinlich mit Blick auf Berufspianisten oder fortgeschrittene Schüler wie John Field zielte. In der Nr. 1 (G-Dur) fällt unmittelbar die bei Clementi einmalige Viersätzigkeit auf, wobei das erwartbare Menuett (Scherzo) durch eine Gruppe von  strengen zweistimmigen Kanons mit zum Teil harschen Tönen ersetzt wird. Die übrigen drei Sätze sind großformatig angelegt, der erste (Allegro molto vivace) überrascht mit starken thematischen Kontrasten, der zweite (Adagio sostenuto e cantabile) singt ein weit verziertes, wunderschönes Lied, das dreimal von kräftigen Forte-Einwürfen unterbrochen wird. Drei Jahrzehnte später erklingen ganz ähnliche Töne in den Pariser Salons (z.B. Chopins Nocturne  Fis-Dur op. 15 Nr. 2). Der Schlußsatz (Presto) stürmt unaufhaltsam in der Grundtonart voran (besonders deutlich in der Aufnahme von Howard Shelley), kurz unterbrochen von einer nachdenklichen Moll-Passage. Die h-moll-Sonate Nr. 2 gehört zurecht zu den berühmtesten Kompositionen Clementis mit ungewöhnlich leidenschaftlichen, manchmal fast tragischen Untertönen. Sie besteht aus zwei Sätzen, die beide von einer langsamen Einleitung eröffnet werden, die Satzbezeichnungen lauten:  1. Molto adagio e sostenuto – Allegro con fuoco e con espressione 2. Largo mesto e patetico - Allegro – Tempo I – Presto. Schon aus der Titulierung des zweiten Satzes ist ersichtlich, dass Clementi die langsame Einleitung analog Beethovens c-moll-Sonate op. 13 (Pathétique) vor Beginn der Durchführung wiederholt. Eine weitere Analogie ergibt sich daraus, dass ein Nebenthema der Einleitung als erstes Thema des Allegro erscheint. Derartige Analogien entfallen im ersten Satz, der sehr stark beherrscht wird von einer ungewöhnlich ausgedehnten Durchführung, in der zahlreiche virtuose Passagen schliesslich in einen zweistimmigen Kanon münden. Für Plantaniga ist die D-Dur-Sonate op. 40 Nr. 3 das beeindruckendste Stück der Trias. Auch sie beginnt mit einer langsamen Einleitung (Adagio molto) in d-moll, gefolgt von einem schlicht Allegro bezeichneten Satz, der - geradezu verschwenderisch – drei Themen einführt, zu dem sich in der ausgedehnten Durchführung noch ein weiteres Thema hinzugesellt. Der Mittelsatz (Adagio con molto espressione) ist zwar relativ kurz, aber dennoch ein eigenständiges Stück und dient aus meiner Sicht nicht analog op. 40 Nr. 2 als Einleitung zum Schlußsatz (Allegro), der thematisch an op. 33 Nr. 1 erinnert. Keine Frage: die drei Sonaten op. 40 gehören zu Clementis besten Kompositionen.

Das folgende Opus 41 aus dem Jahr 1804 ist eine der wenigen Veröffentlichungen Clementis aus den Jahren 1802-10, ist aber mitnichten ein komplett neues Stück, sondern eine Revision einer früheren Sonate (wahrscheinlich stammt sie ursprünglich aus dem Jahr 1782, blieb zu der Zeit aber unveröffentlicht), aus der Clementi bereits Material für seine Sonate op. 23 Nr. 1 verwendet hatte. Von sehr großem Reiz allerdings ist der neu hinzugefügten Adagio-Mittelsatz, dessen Tonfall und Schönheit die Begegnung mit dem Werk allemal lohnen. Die beiden Ecksätze allerdings stammen trotz Clementis ´Verbesserungen und Ergänzungen`, hörbar aus einer früheren Periode.

Die Sonate B-Dur op. 46 – Friedrich Kalkbrenner gewidmet – ist nach Spada nicht das Meisterwerk geworden, das Clementi möglicherweise vorgeschwebt hat, zu dünn ist die Faktur, zu akademisch und im Vergleich zu den anderen ausgedehnteren Kompositionen dieser Zeit in Teilen retrospektiv klingend, auch wenn Clementi im Verlauf der Sätze das relativ einfache Material mit immer neuen chromatischen Verzierungen anreichert. Darüber hinaus ist die Sonate bei aller Ambition zu lang geraten – besonders der zweite Satz. Am besten gelungen ist der Schlußsatz mit seinen überraschenden harmonischen Wendungen, aber er rettet eine insgesamt doch eher langweilige Komposition nicht.

Clementis letzte drei Sonaten op. 50 (seine letzte veröffentlichte Werkserie) sind Luigi Cherubini gewidmet, der zur Zeit ihrer Veröffentlichung (1821, aber wahrscheinlich einige Jahre früher geschrieben) als einer grössten Komponisten der Epoche galt. Diese Widmung spricht dafür, dass Clementi die Sonaten op. 50 für ausreichend gelungen hielt, eine Annahme, der man auch heute noch vollkommen zustimmen kann. Die erste Sonate in A-Dur beginnt mit einem Satz (Allegro maestoso e con sentimento) in ähnlich kraftvollem Tonfall wie ihre ´Schwesterwerke` op. 33 Nr. 1 und op. 2 Nr. 4 in derselben Tonart, der selbst in der Durchführung durchsichtig und einfach strukturiert bleibt. Im Mittelsatz (Andante sostenuto e patetico – Andante con moto) überrascht Clementi als Mittelteil mit einem zweistimmigen Kanon in A-Dur (gebildet aus einer Nebenstimme des Adagios), der umrahmt wird von zwei sehr ähnlich strukturierten Adagio-Teilen, die in der parallelen Molltonart stehen. Im Finale (Molto Allegro) greift Clementi auf die Sonatenform zurück, mit diversen kanonischen und kontrapunktischen Teilen zu Beginn des Satzes und auch noch einmal in der Durchführung.

Die beiden weiteren Sonaten stehen in Moll-Tonarten, Nr. 2 in d-moll (einmalig bei Clementi), Nr. 3 im mehrfach verwendeten g-moll (7/3, 8/1, 34/2 und eben 50/3). In der d-moll-Sonate lauten die Satzbezeichnungen Allegro non troppo ma con energia, Adagio con espressione und Allegro con fuoco ma non troppo presto. Hinsichtlich der Ecksätze deuten schon die Bezeichnungen auf kraftvolle, durchaus auch stürmische Themen hin, die zudem hohe technische Anforderungen an den Pianisten stellen, während der lyrische Mittelsatz trotz (oder gerade wegen?) seiner fast überreichen Ornamentik an eine Opernarie denken lässt. Insgesamt hat Plantiniga recht, wenn er im Begleitheft zur Shelley-Gesamteinspielung die Sonate charakterisiert als ´ein durchgängig kraftvolles Werk, in dem einige von Clementis ältesten kompositorischen Gewohnheiten .. überzeugend in seinen jüngsten Stil integriert werden.`.  Das bekannteste Stück der op. 50 Trias und zugleich die einzige Sonate Clementis mit einem programmatischen Titel ist die Sonate g-moll op. 50 Nr. 3. Der Titel ´Didone Abbandonata – Scena Tragica` bezieht sich auf Teil 4 von Vergils Aenaeis, die seit Barockzeiten vielfach in Musik umgesetzte tragisch endende Liebe der Karthagischen Königin Dido und dem Rom-Gründer Aeneas (die Vertonungen begannen bereits im Jahr 1641, als Cavalli in Venedig ein Libretto von Gian-Francesco Busenello umsetzte, wurde 1688 fortgesetzt durch Purcell mit der heute noch gespielten Oper ´Dido and Aeneas` und schließlich folgte ein Libretto Metastasios, das beginnend im Jahre 1724 über sechzig Mal vertont wurde, u.a. von Galuppi, Hasse, Paisiello und Mercadante). Bei Clementi scheint es ausschließlich um die Erinnerungen und Emotionen der verlassenen Königin bis hin zu ihrer Selbsttötung auf dem Scheiterhaufen zu gehen, nachdem Aeneas sie verlassen hat. In der langsamen Einleitung (Largo patetico e sostenuto), melancholisch und traurig, mit ihrer bestimmenden absteigenden Melodie, sieht man die trauernde Dido förmlich vor sich, während der folgende Satz (Allegro ma con espressione) - ein harmonisch weit verzweigter Sonatensatz – durch seine harmonische Ausuferung und die deutlichen Stimmungsschwankungen Didos Zerrissenheit beschreiben könnte. Der langsame Mittelsatz (Adagio dolente) nimmt die Stimmung des Beginns auf, dieses Mal kulminierend in einem dramatischen Höhepunkt, der den elegischen Unterton in totale Entschlossenheit zu verwandeln scheint. Das attacca folgende Allegro agitato, e con disperazione ist voller Tempo, gewaltiger Spannung und wechselnder Emotionen und verdeutlicht nur allzu gut Didos finalen Entschluß, wenn auch immer wieder von leisen Zweifeln unterbrochen. Interessanterweise – darauf weist Spada hin – gibt es im Gradus ad Parnassum mit der Scena patetica eine ähnliche Komposition, die sich der musikalischen Beschreibung von Gemüts- und Seelenzuständen widmet und die man ebenso wie die Sonate in Anlehnung an Mendelssohns ´Lied ohne Worte` als ´Oper ohne Worte` bezeichnen kann.

 

Capriccios

Insgesamt fünf Capriccios hat Clementi verfasst, beginnend 1787 mit op. 17 in B-Dur, das gefällig, aber ein wenig flach geraten ist und sich offenkundig an den pianistischen Fähigkeiten von fortgeschrittenen Amateuren ausrichtet. Im Rahmen von op. 34 folgen acht Jahre später die Capriccios 2 und 3, in A- und F-Dur, beide Stücke sind locker gebaute Improvisationen, dabei technisch wesentlich anspruchsvoller als op. 17, von den eingestreuten einfachen Melodien einmal abgesehen.

Die beiden Werke op. 47 (op. 47 Nr. 1  e-moll und op. 47 Nr. 2 C-Dur) haben fast Sonatencharakter: sie sind formal genauso aufgebaut wie die Sonate op. 40  Nr. 2, einer jeweiligen ausgedehnten langsamen Einleitung, die allesamt auf der Dominante enden und damit ihren Einleitungscharakter manifestieren, folgen Allegro-Sätze, in denen die Adagio-Themen teilweise zitiert werden (Satz 1 des Capriccio e-moll, Satz 2 des Capriccio C-Dur). Bemerkenswert ist der 5/4 Takt in der Einleitung zum zweiten Stück, ein für Entstehungszeit (die Veröffentlichung erfolgte 1821, aber die Komposition könnte durchaus einige Jahre früher gelegen haben) überraschender Einfall, mit dessen Hilfe Clementi möglicherweise den insgesamt experimentiellen Charakter der beiden Kompositionen betonen wollte, der an vielen Stellen den kommenden zyklischen Stil eines Chopin, vielleicht frühen Liszt vorwegnimmt und zugleich an Beethovens Sonaten op. 13 und 14, beide bezeichnet als ´Quasi una Fantasia`, denken lässt. Beide Stücke sind pianistisch sehr anspruchsvoll, zugleich aber musikalisch so ungemein einfallsreich, dass man ihnen sehr gern und durchaus häufiger im Konzertsaal begegnen möchte.

 

Hörempfehlung für die Klaviersonaten und Capriccios: die komplette Einspielung des englischen Pianisten Howard Shelley und die Aufnahmen der Italienerin Maria Tipo, die die wichtigsten Sonaten (gut 20), die beiden letzten Capriccios und einige kleinere Werke aufgenommen hat.

 

Weitere Klavierwerke

Die Toccata B-Dur op. 11 Nr. 2 (ebenso wie ihre Opus-Schwester, die Sonate Es-Dur op. 11 Nr. 1) besitzt insoweit besonderen Status, als Clementi sie während des Wettspiels mit Mozart am Wiener Hof präsentierte und damit fraglos seine hohe Virtuosität belegte, die Mozart später zu seinen abschätzigen Äusserungen veranlasst haben mag. Völlig anderen Charakter haben die sogenannten Musical Characteristics op. 19 (1797, überarbeitet 1807), in denen Clementi in sechs Doppel-Präludien den Stil von fünf Kollegen (Mozart, Haydn, Sterkel, Kozeluch, Vanhal und sich selbst) nachahmt, wobei bis heute unklar bleibt, ob die Komposition eine rein satirisch-humoristische Angelegenheit war oder Clementi damit seine kompositorischen Fähigkeiten darlegen wollte. Auch aus der frühen Zeit stammt das Stück ´The Black Joke with 21 Variations  WO  2 (1777), dem ein irisches Volkslied zugrundeliegt, während die `Fünf Variationen über ein Menuett von Mr. Collick WO 5` 1793 im Umkreis der Trios op. 29 entstanden sind. Zu den Spätwerken gehören die ´Variationen über ´Batti Batti` aus ´Don Giovanni` WO 10` (1820), in denen nach einer blumigen Einleitung eine fast wörtliche Umsetzung der beiden Arienteile in die Möglichkeiten des Klaviers erfolgt. Dagegen weist die ´Fantasie mit Variationen über ´Au clair de la lune` op. 48` (1821) über ein einfaches französisches Wiegenlied einige harmonische Details auf, die auf kommende Entwicklungen der Klavierkomposition hindeuten, dagegen klingen eher einschichtig die ´Zwölf Monteferrinas op. 49` (1821), einfache kurze Stücke, ausnahmslos im sechs Achtel Takt mit zwei kontrastierenden, stets tonal benachbarten Themen, lediglich die vierte weicht mit ihrer erweiterten Chromatik von diesem Schema ab. Ursprünglich wollte Clementi wohl 24 Monteferrinas schreiben, es sind aber zum op. 49 lediglich sechs weitere ähnlich strukturierte dazugekommen, erschienen unter den WO-Nummern 15-20. 

 

Duos für Klavier zu vier Händen/für zwei Klaviere

Op. 3 Nr. 1 C-Dur, op. 3 Nr. 2 Es-Dur, op. 3 Nr. 3 G-Dur

Die drei vierhändigen Stücke erschienen 1779 zusammen mit drei begleiteten Sonaten (Violine oder Flöte). Sie sind zweisätzig angelegt, beide Sätze schnell oder zumindest relativ schnell. Formal stehen die ersten Sätze jeweils in Sonatenform, die thematisch jeweils unterschiedliche Tonfälle aufweisen (bewußter Kontrast, Sanglichkeit und Divertimento), während die zweiten Sätze grundsätzlich dem fünfteiligen Rondoschema folgen.

Op. 6 Nr. 1 C-Dur

Das komplette op. 6 erschien 1780/1 in Paris, in der C-Dur-Sonate erscheint im Gegensatz zum Opus 3 ein langsamer, wenngleich kurzer Mittelsatz (Larghetto con moto), dessen rhythmisch melodischer Wechsel sehr überzeugend gesetzt ist. Die Ecksätze erfordern einen hohen Grad an Virtuosität, nicht zuletzt im presto bezeichneten Schlußsatz.

Op. 14 Nr. 1 C-Dur, op. 14 Nr. 2 F-Dur, op. 14 Nr. 3 Es-Dur

Die Erstausgabe dieser drei Werke stammt aus dem Jahr 1786, sie wurden von Clementi in den Jahren 1815/6 bearbeitet, es erschien jedoch nur die Neufassung der Nr. 3 in Druck. Nr. 1 und 3 sind dreisätzig, lediglich bei Nr. 2 greift Clementi auf die zweisätzige Form zurück, bei der im üblichen Rondo insofern eine ungewohnte Erweiterung zu hören ist, als am Ende ein neun Takte langer Orgelpunkt erscheint, der von ff ins pp absteigt. Während Clementi in Sonate 1 im ersten Satz ein differenziertes rhythmisches Spannungsfeld und weitgehende Modulationen (insbesondere in der Durchführung), aber deutlich im ´normalen` Rahmen der Sonatenform erzeugt, geht er in der Nr. 3 hinsichtlich Modulation und Chromatik noch einen Schritt weiter, dabei zugleich auch die musikalischen Anforderungen an die Spieler steigernd. Das beschliessende beschwingte Rondo nennt Börner ´in seiner einfachen spielerischen Art .. genial ..`

 

Erste Wahl bei den vierhändigen Werken ist das Duo Aglika Genova/Liuben Dimitrov

 

Pädagogische Zusammenstellungen

Die überwiegend ablehnende Haltung zu Clementis Kompositionen mag besonders mit seinen pädagogischen Werken zu tun haben, mit der Erinnerung an langweilige Klavierübungen und – stunden, über die die meisten Klavierschüler bei diesem Komponisten nie hinausgekommen sind. Kaum ein aufstrebender Pianist kommt auch heute noch an den kurzen Sonatinen op. 36 vorbei, von denen insbesondere Nr. 1 C-Dur bei Klavierschülern einen extrem schlechten Ruf hat. Dabei sind alle sechs Stücke von wunderbar heller Textur, dabei ansteigend im Schwierigkeitsgrad und vorbildlich in der Beachtung der Basis des Klavierspiels: klare Phrasierung, gleichmässiger Anschlag und Kontrolle der Lautstärke.

Die Einführung in die Kunst des Klavierspiels op. 42 erschien im Jahr 1801 und wurde sehr schnell in ganz Europa bekannt. Neben den schriftlichen Erläuterungen von Clementi besteht diese Zusammenstellung aus einfachen Werken diverser Komponisten, darunter Bach, Haydn, Mozart und Beethoven. Um den Charakter der sechs Sonatinen op. 36 zu verdeutlichen, fügte Clementi diese Kompositionen einer Neuauflage der Einführung im Jahre 1805 hinzu. 1811 ging er mit dem Appendix op. 43 noch einen Schritt weiter: diese Zusammenstellung enthält ebenfalls kurze Stücke unterschiedlicher Komponisten, der Schwierigkeitsgrad hingegen richtet sich zu grossen Teilen auch an fortgeschrittenen Klavierschüler.  

Gradus ad Parnassum op. 44

Diese dreiteilige Zusammenstellung mit insgesamt 100 Einzelstücken (erschienen 1817, 1819 und 1826, geschrieben jedoch über einen Zeitraum von etwa 45 Jahren) ist heutigen Hörern wohl am ehesten bekannt durch die musikalische Satire Debussys mit dem Titel ´Doctor Gradus ad Parnassum` aus seiner ´Children`s Corner`-Suite, mit deren Hilfe der Franzose eine auf schiere mechanische Fertigkeiten reduzierte Zusammenstellung von Carl (Karol) Tausig aufs Korn nahm. In Clementis Originalfassung sind mechanische Übungen allerdings klar in der Minderzahl: das Original besteht in der Mehrzahl aus Sonaten-Sätzen (die Nummern 15, 38, 42 und 61 sind absolut geeignet, als Eingangssatz einer Klaviersonate zu fungieren), Suiten (bestehend aus drei bis sechs Sätzen), Fugen (teilweise erhebliche Umarbeitungen der frühen Kompositionen aus Ouevre 1, op. 5 und op. 6) , Kanons bis hin zu Scherzi sowie Charakter- und quasi programmatischen Stücken (Nr. 39 – Scena patetica als Teil einer Suite oder Nr. 95 – Bizzarria als Solostück). Mit dem Gradus legt Clementi seine spieltechnischen Prinzipien und Unterrichtsziele offen, zeigt aber gleichzeitig die Entwicklung seiner kompositorischen Fähigkeiten. Nicht nur in den schon genannten Fugen setzt Clementi zuvor einer tiefen Revision unterzogene Motive oder ganze Teile aus bereits veröffentlichten Kompositionen ein, auch diese Kürzungen, Erweiterungen und harmonischen Änderungen verschiedenster Art legen deutliches Zeugnis von Clementis positiver kompositorischer Entwicklung ab und nicht zuletzt diesem umfangreichen Kompendium verdankt Clementi seinen Ehrentitel ´Vater des Pianoforte`.



KAMMER

Duos und Trios für Klavier und Violine bzw Flöte und Violoncello

In der Zeit zwischen 1779 und 1786 (op. 2, 3, 4, 13 und 15) hat Clementi 15 Klaviersonaten mit obligater Begleitung für Violine oder Flöte geschrieben, allesamt gefällige Stücke, in denen das Klavier natürlich die Hauptrolle spielt, während Violine oder Flöte überwiegend eher begleitenden Charakter haben. Insbesondere die Sonaten op. 15 beeindrucken durch ihren Melodienreichtum, gewagtere Modulationen und eine ausgedehntere Fraktur. Zudem wird auch die Violine mehr zum integralen, dialogisierenden Teil der Komposition, alles in allem wäre den Stücken eine weitere Verbreitung zu wünschen. Noch ein wenig weiter treibt es Clementi in den drei Trios op. 22 (D-Dur, G-Dur und C-Dur) mit seinen Ansprüchen an die solistischen Fähigkeiten. Besonders im einsätzigen dritten Stück (eines von vier Stücken, denen Clementi den Beinamen ´La Chasse` gab), das mit einer Largo-Einleitung beginnt, die vor der Reprise noch einmal auftaucht. In der Durchführung der Sonatensatz-Anlage wartet Clementi mit einigen überraschenden harmonischen Wendungen auf: so beginnt das Thema in der Durchführung ohne Modulation in E-Dur, um in der Folge b-moll, G-Dur und e-moll zu berühren, ein Vorgang, der an Schuberts Art erinnert, harmonische Vorgänge vor melodischen und rhythmischen in den Vordergrund zu stellen.

In seiner ´mittleren` Periode von 1791 bis 1802 verfasste Clementi insgesamt 16 weitere Trios (op. 27, 28, 29, 32, 35 jeweils in Dreiergruppen und als Einzelstück WO 6). Es ist davon auszugehen, dass diese Kompositionen in erster Linie der Vermarktung dienten, Clementis verlegerische Tätigkeit mit eigenen Werken füttern sollten. In allen Stücken spielt das Klavier die Hauptrolle, Plantaniga bezeichnet die Begleitinstrumente als weitgehend überflüssig, wobei Ausnahmen (Satz 2 der C-Dur-Sonate op. 28 Nr. 1 – letzte Variation) die Regel bestätigen. Zumeist sind die Sätze relativ einfach gesetzt und eignen sich ausgezeichnet als Hausmusik für fortgeschrittene Amateure. Mit op. 35 endet die Reihe der Duos und Trios, nicht jedoch Clementis Beitrag zur gepflegten Hausmusik: es folgten mit op. 38 und 39 jeweils 12 Walzer für Klavier mit Triangel und Tambourine Begleitung. Außerdem hat Clementi zwei fragmentarische Sätze (Andante und Allegro) für Nonett hinterlassen (WO 30 und 31), die von Pietro Spada vervollständigt wurden und für exakt die gleiche Besetzung wie Spohrs bekanntes op. 31 geschrieben wurden. Es existiert zusammen mit Spohrs Komposition eine Aufnahme des Persius-Ensembles.  


ORCHESTER

Hermann Kretzschmar hat der Wiederbelebung von Clementis sinfonischen Werken ´Aussichtslosigkeit` bescheinigt, was angesichts von diversen Aufnahmen der inzwischen bekannten bzw. wiederhergestellten 6 Sinfonien, 2 Ouvertüren, einem Klavierkonzert und dem Minuetto pastorale zumindest merkwürdig klingt. Zu Kretzschmars Ehrenrettung muss allerdings gesagt werden, daß zu Beginn des 20. Jahrhunderts lediglich 2 Sinfonien Clementis (die beiden Werke op. 18 aus dem Jahr 1787) im Druck vorlagen, alle anderen sinfonischen Werke wurden erst erheblich später aus diversen Skizzen, Fragmenten und Manuskripten rekonstruiert. In den 30er Jahren führte Alfredo Casella zwei von ihm aus diversen Fragmenten zusammengesetzte Sinfonien, die 1938 von Ricordi veröffentlicht wurden, mit grossem Erfolg auf, allerdings leider ohne bleibende Wirkung. Erst nachdem sich in den 70er Jahren Pietro Spada noch einmal mit der sinfonischen Hinterlassenschaft Clementis beschäftigte und seine Ergebnisse in Form von zwei weiteren Sinfonien (WO 34 und 35) 1978 in Italien in Druck erschienen, haben einige Dirigenten Einspielungen der Werke vorgelegt. Diese rekonstruierten Werke und fraglos eine ganze Reihe weiterer, die verloren gegangen sind oder möglicherweise aus nicht schlüssig erklärbaren Gründen vom Verfasser zerstört wurden, schrieb Clementi zwischen 1812 und 1824, ehe er sich zum Ende seines Lebens voll und ganz der Fertigstellung des Gradus ad Parnassum widmete.

Sinfonien B- und D-Dur op. 18 Nr. 1 und 2

Plantaniga bezeichnet die beiden Werke als ´dürftig` und ´altmodisch` und in der Qualität keineswegs vergleichbar mit Haydns zu ähnlicher Zeit entstandenen Pariser Sinfonien, ganz zu schweigen von den sog. Londoner Sinfonien, mit denen Haydn ab 1791 die englische Hauptstadt eroberte. Beide Kompositionen sind für Streicher, 2 Flöten, 2 Oboen, Fagott und 2 Hörnern gesetzt.

Der erste Satz B-Dur Sinfonie wird in seiner sehr konzisen Sonatenform fast durchweg von einem rein rhythmisch bestimmten Motiv beherrscht, gefolgt von einem sanften Adagio, dessen zweiteilige Grundstruktur den gesamten Satz durchzieht. Das folgende Menuett folgt der klassischen Form mit einem ausgedehnten Trio, das eher wie eine thematische Erweiterung und weniger als Gegensatz wirkt. Der kurze Schlußsatz ist wiederum als Sonatensatz angelegt, leider mit wenig einprägsamen Motiven.

Die D-Dur Sinfonie scheint schon aufgrund der gewichtigen langsamen Einleitung im ersten Satz die ambitioniertere Komposition zu sein und auch der deutliche Themengegensatz spricht für Clementis größeren Gestaltungswillen. Es folgt ein langsamer Variationssatz (Andante), dann ein Menuett, dessen Trio wieder eher als Variation oder eine Art Durchführung ausgeführt wird. Auch das Allegro assai des letzten Satzes folgt der Sonatenform, ähnlich wie Satz 1 modulatorisch durchaus einfallsreich.

Ouvertüre C-Dur WO 36 Nr. 1

Spada ist sich recht sicher, dass dieser Satz ursprünglich zu einer Sinfonie gehörte. Das Stück – klassischer Sonatensatz - beginnt mit einer zweithematischen langsamen Einleitung, nachdenklich zunächst, dann sehr ausdrucksvoll. Aus dem zweiten Ansatz entwickelt sich das einfache, fröhliche Thema 1, das in ein stimmungsmässig ähnlich positiv gestimmtes Thema 2 übergeht. Es folgt eine ausgedehnte Durchführung mit fortwährenden chromatischen Bewegungen, dann eine einfache Reprise, an die sich nach einem kontrapunktischen Ausflug eine schwungvolle Coda anschliesst.

Ouvertüre D-Dur WO 36 Nr. 2

Die langsame Einleitung ist deckungsgleich mit der Einleitung der dritten Sinfonie, eine sehr schöne, romantische Melodie mit ´singenden` Violinen und Celli. Es folgt ein klar strukturiertes Allegro-Thema, kontratiert mit einer lyrischeren Passage in den Celli und Bläsern, ehe die Allegro-Bewegung wieder die Führung übernimmt. Die Durchführung ist weit aufgefächert, kanonische Passagen wechseln mit ins Dramatische gesteigerten Themen-Abspaltungen, der Schluß ist brilliant und kraftvoll.

Sinfonien Nr. 1 C-Dur, Nr. 2 D-Dur, Nr. 3 G-Dur, Nr. 4 C-Dur

Aus den hinterlassenen Fragmenten – es wird geschätzt, Clementi habe etwa 20 Sinfonien verfasst - liessen sich relativ zuverlässig neben den beiden Werken op. 18 vier Sinfonien rekonstruieren.

Sinfonie Nr. 1 C-Dur WO 32

Satz 1 beginnt mit einer ausdrucksvollen langsamen Einleitung (Larghetto), die mit einer recht abrupten Tonart-Veränderung in ein schwungvolles, durchgehend optimistisch klingendes Allegro molto übergeht. Das folgende Andante con moto hat charmanten barocken Charakter – abgesehen von den Tutti-Passagen, im Gegensatz zum anschliessenden Menuett, das stark an Haydn erinnert, allerdings ein klein wenig zu lang geraten ist. Das Finale stellt zwei Themen nebeneinander, die die Satz-Bezeichnung Allegro vivace exakt wiederspiegeln und im Verlauf sehr geschickt gegeneinandergestellt und verwoben werden. Ganz leise scheint der frühe Beethoven durch.

Sinfonie Nr. 2 D-Dur WO 33

Einfache langsame Einleitung (Adagio), auf die ein duo-thematischer Sonatensatz (Allegro) folgt, bei dem Thema 2 in seinem natürlichen melodischen Fluß sehr viel aussdrucksvoller ist als das konventionellere Thema 1. Es folgt ein eher ernst klingender ausdrucksvoller langsamer Satz (Allegretto cantabile), der durch vielfältige harmonische Kombinationen besticht. Das haydnsche Menuett (Allegretto) klingt eher nachdenklich, eine Stimmung, die das Trio (ebenfalls Allegretto) nur ein wenig aufhellt. Der vierte Satz (Presto) gehört zu Clementis besten sinfonischen Sätzen: zwei gegensätzliche Themen führen letztlich in eine kanonische Passage, die wiederum den prächtigen Schlußteil des Stücks einleitet.    




Sinfonie Nr. 3 G-Dur WO 34 – Great National Symphony

Der Beiname rührt aus der Verwendung von ´God save the King` im zweiten Satz und im Finale der Kompopsition. Die Einleitung deckt sich dem Beginn der Ouvertüre D-Dur. Das folgende Allegro beginnt mit einem brillianten Thema, auf das ein leise fliessendes Cantabile folgt, das in der Durchführung leider kaum eine Rolle spielt. Der folgende Variationssatz (Andante un poco mosso) ist höchst ambitioniert gestaltet und bis hin zum finalen Fortissimo des Hauptthemas an ähnlichen Kompositionen Beethovens orientiert. Menuett und Trio (jeweils Allegretto) klingen weniger nach Haydn als in WO 32 und 33. Neu für Clementi die effektvolle vielfache Verwendung von Solopassagen im Trio. Das Finale (Vivace) enthält neben einem flotten Hauptthema noch einmal Elemente der englischen Nationalhymne, die besonders das Ende des Stücks kennzeichnen.

Sinfonie Nr. 4 D-Dur WO 35  

Für Spada ist die ´Vierte` Clementis wichtigstes sinfonisches Werk. In der langsamen Einleitung des ersten Satzers (Andante sostenuto) finden sich Anklänge an Beethoven, Schumann und – überraschend aus zeitlicher Sicht -sogar Brahms. Im Hauptsatz wird ein breit fliessendes Thema mit einer Gesangsmelodie der Celli kontrastiert, beide Themen finden sich erweitert wieder in der Durchführung, während die Reprise noch ein weiteres Motiv einführt. Es folgt ein sehr lyrischer langsamer Satz (Andante cantabile), dessen Thema mehrfach variiert wird, zweimal unterbrochen von erregten Tutti-Passagen, die auch von Schumann stammen könnten. Der dritte Satz (Allegretto moderato) ist insoweit untypisch, als er seine sehr dunkle Färbung nicht zuletzt auch durch die Tonart b-moll erhält, aber durch das Trio in Dur wird die Stimmung zumindest zeitweise wieder aufgehellt. Das Finale (Allegro vivace) ist gekennzeichnet durch zwei ähnlich rhythmisch-expressive Themen, die in der kurzen Durchführung an Beethoven denken lassen, ehe das Stück mit einer aufregend gesteigerten Coda endet.   

Zusammengefasst behaupte ich, dass die vier Sinfonien WO 32-35 Clementis den Londoner Symphonien Haydns durchaus ebenbürtig sind.

Klavierkonzert C-Dur

Das Werk (nach Tyson 1796 entstanden, andere Quellen sprechen von den späten 1780er Jahren) ist das einzige erhaltene Klavierkonzert Clementis; es besteht aus den üblichen drei Sätzen, überschrieben Allegro, Adagio e cantabile con grande espressione sowie Presto. Clementi hat das Konzert wenig später für eine Klaviersonate verwendet, zu seinen Lebzeiten wurde es nicht gedruckt. Satz 1 beginnt fast wie eine Opernouvertüre und erscheint wie eine leicht erweiterte Sonatenform durch die Einführung einer Art Vor-Durchführung, der zweite Satz in Form einer freien Fantasie hält leider nicht, was die Bezeichnung verspricht: dazu ist das Thema einfach zu schlicht und zu wenig prägnant. Der quirlige Schlußsatz greift die buffonesken Passagen des ersten Satzes wieder auf und wirkt wie ein monothematisches Rondo, kann aber mit seinen überraschenden Modulationen auch als Sonatensatz verstanden werden.

Minuetto pastorale D-Dur WoO 36

Dieses kurze Stück – vermutlich ursprünglich als Teil einer Sinfonie vorgesehen – beginnt idyllisch, aber besonders im Trio schleichen sich ein paar Moll-Wolken in den musikalischen Ablauf.

 

Hörempfehlung für die op. 18-Sinfonien: Matthias Bamert am Pult der London Mozart Players, für die WO 32-35 die Aufnahme von Ivor Bolton mit dem Mozarteum Orchester Salzburg.


´Vater des Pianofortes` wird Clementi genannt, fast wichtiger als dieser Titel scheint mir aber seine kompositorische Brückenfunktion zu sein, mit seinen Werken für das Klavier einen weiten Bogen schlagend von Domenico Scarlatti zu Frederic Chopin. Er wurde von Haydn, Mozart und Beethoven beeinflusst, er selbst beeinflusste hörbar den jungen Beethoven und eine ganze Reihe jüngerer Kollegen wie Dussek, Field und Hummel.  Bei dem Hinweis auf die Brücke übersieht man allerdings leicht Clementis ureigene Leistungen, die sich von der reinen Virtuosität der Frühwerke (im wesentlichen noch für das Cembalo geschrieben) über die auch von Beethoven hochgeschätzte mittlere Periode (ab op. 7) mit ihren klaren melodischen und harmonischen Strukturen bis hin zu den Werken ab op. 40, in denen Clementi seine Entwicklung noch intensiver und erfolgreicher als zuvor mit kunstvollen kontrapunktischen Elementen verband. Seine melodische Erfindungskraft hat selten ´Ohrwurm-Qualität`, insbesondere die langsamen Sätze verlieren trotz ihrer plastischen Themen leicht an innerer Spannung und es steht ausser Frage, dass viele Werke des klassischen Kanons grössere Tiefe und Weite besitzen. Dennoch ist Muzio Clementi im Konzertleben zu Unrecht unterrepräsentiert, vielleicht auch, wie Anselm Gerhard feststellt, weil seine ´ Musik niemals ›schwitzt‹, sondern ihre Finessen und kompositionstechnischen ›tours de force‹ hinter einer eleganten, stets anmutig wirkenden Melodik versteckt`. Einer von einigen guten Gründen, sich mit der Musik Muzio Clementis näher zu beschäftigen.   

 

Literatur:

Leon Plantaniga – Clementi - His Life and Music London 1977

Anselm Gerhard, Art. Clementi, Muzio in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, New York, Kassel, Stuttgart 2016ff., zuerst veröffentlicht 2000, online veröffentlicht 2016

Walter Georgii – Klaviermusik 4. Auflage Zürich 1950

Klaus Wolters – Handbuch der Klavierliteratur zu zwei Händen 5. Auflage Zürich und Mainz 2001

Günther Batel – Meisterwerke der Klaviermusik Wilhelmshaven 1997

Alan Tyson – Thematic Catalogue of the Works of Muzio Clementi Tutzing 1967

Klaus Börner – Handbuch der Klavierliteratur zu vier Händen Zürich und Mainz 2005

Marianne Stoelzel – Die Anfänge vierhändiger Klaviermusik, Studien zur Satztypik in den Sonaten Muzio Clementis, Frankfurt a. Main, Bern, New York, Nancy 1984

Rohan H. Stewart-MacDonald – New Perspectives on the Keyboard Sonatas of Muzio Clementi Bologna 2006

Hermann Kretzschmar – Führer durch den Konzertsaal I. Abteilung Sinfonie und Suite 6. Auflage Leipzig 1921