Max Bruch

(1838-1920)


Streichquintett Es-Dur op. posth.

Streichquintett a-moll op. posth.

Streicheroktett B-Dur op. posth.

Ohne im einzelnen auf die wechselvolle Reise der Autographen bzw. Abschriften dieser drei späten Kammermusikwerke einzugehen (das würde einen eigenständigen ausführlichen Bericht erfordern) bleibt zu den Stücken aus den Jahren 1918 – 1920 folgendes zu sagen. Das erste Werk in dieser Reihe ist das Streichquartett Es-Dur, es ist das kürzeste Stück der drei Spätwerke und erlebte seine Uraufführung erst im Jahre 2008 in London. Es ist – je nach Betrachtungsweise drei- oder viersätzig – wobei der langsame erste Satz eher wie eine Einleitung zum folgenden Allegro fungiert. Das Thema der Einleitung taucht im letzten Satz noch einmal fast wortwörtlich wieder auf, deutlich an Klänge aus Bruchs erster Sinfonie anknüpfend. Auf die Einleitung (den ersten Satz) folgt ein zumeist schwungvolles Allegro ohne nennenswerte Verarbeitung des Materials. Im anschliessenden Andante erklingt eine klagende nostalgisch-schöne Melodie, immer wieder begleitet von Pizzicato-Klängen. Noch einmal das Andante des Beginns, dann folgt zum Abschluß ein lyrisches Rondo, dessen Hauptthema an die dritte Sinfonie Bruchs erinnert.

Das a-moll-Quintett entstand etwa zur gleichen Zeit, vermutet wird das Jahr 1919. Es erschien 1991 im Druck. Dieses Werk weist vier Sätze auf. Nach einer kurzen langsamen Einleitung erklingt ein Allegro, in dem ein bewegtes und ein lyrisches Thema gegenübergestellt werden. Die Anlage ist wie im Vorgänger eher rhapsodisch, eine Verarbeitung gibt es nur in Ansätzen. Es folgt ein Allegro molto überschriebenes Scherzo, das ähnlich wie Satz 1 aus dem Kontrast zwischen einem bewegten, von Tarantella-Rhythmen bestimmten Teil und einer eher lyrischen Legato-Melodie bestimmt wird. Im dritten Satz (Adagio) zitiert Bruch eine der von ihm so geliebten Volksmelodien; diese hat er der Serenade nach schwedischen Volksmelodien für Streichorchester entnommen. Das Rondo-Finale (Allegro) wird – analog zum ganzen Werk – in seinem eher lyrischen Charakter stark von der ersten Violine dominiert.  

Das vermutlich letzte Werk Bruchs, vollendet im März 1920, sieben Monate vor seinem Tod. Die Stimmen waren viele Jahre verschollen, tauchten 1986 bei einer Autographenversteigerung in New York wieder auf und erreichten über einen Wiener Sammler die Österreichische Nationalbibliothek, die den Druck 1996 gestattete. Der Herausgeber ließ das Werk  als Konzert für Streichorchester erscheinen, eingespielt wurde es jedoch mehrfach als Oktett. Der erste Satz (Allegro moderato) beginnt mit einem lyrischen Thema, das mit einem kraftvolleren Thema 2 kontrastiert wird. Beide Themenkomplexe werden in absolut klassischer Weise gegenübergestellt, verwoben. Der Satz klingt wie ein Abgesang auf eine vergangene Epoche, der sich von einem leisen, zarten Beginn hin zu einem grandiosen Endpunkt steigert. Der zweite Satz (Adagio) besteht im wesentlichen aus einer langgezogenen wunderbaren Melodie, die zweimal von pulsierenden Rhythmen unterbrochen wird, um darauf jeweils in gesteigerter Intensität variiert wiederholt zu werden. Der dritte Satz (Allegro molto) steht in der Sonatensatzform, einem tänzerischen Motiv folgt eine eher lyrische Passage, die beide mit gleicher Aufmerksamkeit in Durchführung und Reprise zu ihrem verdienten Recht kommen.

 

KLAVIER

Obwohl Bruch ein vorzüglicher Pianist war, hatte er eine starke Abneigung gegen dieses ´unmelodische Tastending`. So verwundert es nicht, dass seine Arbeiten für das Soloklavier nicht sehr zahlreich sind und allesamt aus der Frühzeit seiner Tätigkeit stammen. Eine Ausnahme bilden die Schwedischen Tänze op. 63, die ursprünglich für Violine und Klavier geschrieben wurden, später auch u.a. in Fassungen für Klavier solo und zu vier Händen sowie Orchester erschienen (näheres auch zu den Klavierversionen unter Orchester)

Sechs Klavierstücke op. 12

Geschrieben zwischen 1857 und 1860 sind die sechs Stücke ohne inneren Zusammenhang aneinandergereiht, jedes einzelne hübsch, eher lyrisch, hier und da ist der Einfluss Schumanns deutlich zu hören.

Fantasie für 2 Klaviere op. 11

Das Stück ist dreiteilig angelegt, Teil 1 und 3, basierend auf denselben thematischen Ideen, kraftvoll und fast dramatisch, der Mittelteil sanglich, lyrisch.

 

MESSENSÄTZE, KANTATE und ORATORIUM

Messensätze op. 35

Bruch selbst hat die drei Sätze (Kyrie, Sanctus und Agnus Dei) als Missa brevis für den Konzertsaal bezeichnet und zugleich gemeint, dass diese Sätze ´wohl zum Besten gehören, was mir in meinem Leben gelungen ist` (Brief vom März 1881 an seinen Freund Emil Kamphausen). Zehn Monate vorher war das Werk am 9. Mai 1880 in Berlin an der Hochschule für Musik unter der Leitung von Ludwig Spitta  uraufgeführt worden, ziemlich genau elf Jahre nach seiner Entstehung in den Jahren 1859 und 1860. Weitere Aufführungen folgten 1882 im Leipziger Gewandhaus und in Frankfurt am Main. Eine dauerhafte Etablierung in Kirche und Konzertsaal aber blieb dem Werk verwehrt: den Zeitgenossen dürfte die Mischung aus ´weicher Harmonik und Klanglichkeit mit kontrapunktischem Satz` (Fellerer spricht an diesem Zusammenhang von altklassischer Polyphonie)) fremd geblieben sein, sie entsprach schlicht nicht den damaligen mit dem Komponisten Bruch verbundenen Erwartungen. Kein Zweifel aber gibt es am tiefen religiösen Ausdruck der drei Stücke, an ihrer beeindruckenden Klangfülle, der zwischen feinsinnigen und fulminant gesteigerten Passagen schwankenden Chorbehandlung und des Orchesterklangs. Hermann Kretzschmar geht in seiner positiven Beurteilung so weit, dass Bruch eine führende Rolle in der neuen Kirchenmusik sicher gewesen wäre, wenn er den drei Sätzen ein Gloria und Credo hinzugefügt hätte. Für mich – ich wiederhole mich – besteht kein Zweifel, dass eine Aufführung heute auch ohne diese beiden Ergänzungen ein sehr grosser Erfolg wäre, wenn, ja, wenn die Umsetzung - zumindest für die meisten Laienchöre -  nicht so ungemein schwierig wäre. Umso mehr ist Roland Bader für seine Aufnahme mit den Krakauer Ensembles zu danken, Prädikat: sehr empfehlenswert, nicht nur für Freunde des Chorgesangs.

 

Frithjof op. 23

Bereits ab 1857 beschäftigte sich Bruch mit der altnordischen Frithjof-Saga in der Neufassung des schwedischen Dichters Esaias Tegnér (vollendet 1825 und sehr schnell in vielen Übersetzungen in ganz Europa verbreitet). Bruch erstellte zwischen 1857 und 1861 eine erste Fassung, die aber wohl nicht über ein Entwurfsstadium hinausgekommen ist. An der Arbeit für die Frithjof-Szenen op. 23 begann er 1864 anhand der Übersetzung von Gottlieb Mohnike. Dabei reduzierte Bruch den Inhalt auf sechs Szenen, die er dem mittleren Bereich der insgesamt 24 Szenen des Originals entnahm. Die Komposition beginnt mit der Heimkehr Frithjofs von seiner ´Sühnefahrt`, in der Hoffnung, seine geliebte Ingeborg – Schwester des Königs Helge – nunmehr heiraten zu können. Die aber wurde inzwischen König Ring versprochen. Frithjof, der sein gesamtes Hab und Gut zerstört vorfindet, rächt sich, dabei versehentlich einen göttlichen Tempel in Brand setzend. Er muss erneut fliehen. Damit endet die Kantate. Erst in einer Komposition aus dem Jahr 1868 nimmt Bruch das versöhnliche Ende aus Tegnérs Dichtung auf: in einer Konzert-Szene mit dem Titel ´Frithjof auf des Vaters Grabhügel op. 27` beschliesst der Titelheld, den Tempel wiederaufzubauen.

Teil 1 – Frithjofs Heimfahrt

Eine Orchestereinleitung schildert die beglückt-bewegte Seefahrt zurück nach Hause, Frithjof besingt in einem ins lyrische mündenden Rezitativ  das Glück, zurück in der Heimat zu sein. Übergangslos beginnt zu den Worten ´Ich folge der Winde, der himmlischen, Zug` der ariose Teil, an dessen Ende der Chor mit einem eigenen Motiv der Freude über die Rückkehr Ausdruck verleiht.    

Teil 2 – Ingeborgs Brautzug zu König Ring

Ein feierlicher Marsch erklingt, in den sich sehr schnell dunkle Untertöne mischen, die vom folgenden Chor übernommen werden. Schliesslich kommt noch die unfreiwillige Braut Ingeborg ihr Schicksal beklagend zu Wort.   

Teil 3 – Frithjofs Rache, Tempelbrand, Fluch

Ein Chor begrüsst die Mitternachtssonne, die Priester erwarten den König Helge, aber es erscheint Frithjof, der den König soeben aus Rache erschlagen hat und entdeckt, dass der von seinem Vater geerbte Ring, den er Ingeborg als Treuepfand übergeben hatte, an der Statue des Gottes Baldur hängt. Beim Herauslösen stürzt die Statue um, fällt in die Kultflammen und setzt den gesamten Tempel in Brand, musikalisch hochdramatisch untermalt und begleitet von Chor und Orchester, endend mit der Verfluchung Frithjofs. Ein kurzer Klagechor der Gefährten Frithjofs leitet ohne Pause über in

Teil 4 – Frithjofs Abschied von Nordland

Deren erster Teil ist ein Andante-Satz des Chores begleitet von der Solo-Violine, ehe Frithjof in einem vom Chor begleiteten getragenen Arioso Abschied von der Heimat nimmt.

Teil 5 – Ingeborgs Klage

Eingeleitet wird diese musikalisch wohl wertvollste Szene des Stücks von einem rezitativischen Arioso, das zu den Worten ´Dich liess er hier, Falke, geliebter` in eine ausdrucksvolle Kantilene mündet, die schliesslich übergeht in den melodischen Höhepunkt der Arie bei ´Falke so schön, mir von der Schulter aufs Meer sollst du sehn`.

Teil 6 – Frithjof auf der See

Bruch beendet die Komposition mit der Verbannung Frithjofs und einer Strophe des sog. Wikingerbalk, beginnend mit ´Auf dem Schiff nicht zelt`, von Frithjof eingeleitet und vom Chor wiederholt. Hierzu schrieb Bruch ein eigenes Thema, mit dem er das Werk zu einem grandiosen Abschluss bringt.

Ein relatives Jugendwerk, das größere Verbreitung verdient hätte und von Kretzschmar noch 1920 als das Hauptwerks Bruch bezeichnet wurde.

 

 

Odysseus op. 41

Das erste von fünf grossformatigen Werken, die Bruch als seine ´ureigenste Domäne` betrachtete in Abwendung von den modernen Tendenzen insbesondere in der Oper hin zu einer Ergänzung der Kirchenmusik mit einer Form des weltlichen Oratoriums, wobei Bruch für diese Art der Kompositionen den Begriff ´Scenen-Folge` bevorzugte. Nicht unwichtig dabei, dass Bruch aus dem epischen, dem erzählend-betrachtenden das darstellende, dramatische Oratorium formte, das er zudem ´mit in weiten Kreisen (seiner Zeit) herrschenden geistigen Strömungen verband` (Schwarzer). Dies zeigt sich bereits deutlich im Odysseus, in dem bürgerliche Ideale, umrissen mit Schlagworten wie Heimatliebe, Freundschaft, Gattentreue, in einzelnen Szenen verarbeitet und in der kulminierenden Schlußszene zusammengeführt werden.

Bruch schrieb den Odysseus auf einen Text des Dichters Wilhelm Paul Graf zwischen September 1871 und November 1872.  Schon im Mai 1872 fand in Bremen eine Vorabaufführung von sechs bis dahin vollendeten Szenen statt, das komplette Werk, bestehend aus einem Orchestervorspiel und 10 Szenen in 2 Teilen, wurde am 8. Februar 1873 in Wuppertal-Barmen uraufgeführt. 

In jüngerer Zeit sind Aufführungen in Potsdam (2013) und Bremen (2016 – gekürzt) bekannt, Christopher Fifield spricht in einer Kritik der Botstein-Einspielung darüberhinaus von einem durch ihn selbst dirigierten Revival im Jahre 1988..

 

Vorspiel

Dem Hauptthema begegnen wir wieder am Ende des Oratoriums im Duett zwischen Odysseus und Penelope, so schliesst sich der Kreis inhaltlich und musikalisch.

Szene 1: Odysseus auf der Insel der Kalypso

Ein stimmungsvoller Chor der Nymphen eröffnet die Szene, schliesslich leitet eine Moll-Wendung ein Rezitativ der Titelfigur ein, in der Odysseus sein Schicksal beklagt und die oben angesprochenen Grundthemen anspricht. Kraftvolle C-Dur-Akkorde verkünden den Auftritt des Hermes, der dem Helden Rettung verspricht. Odysseus gelobt, sein Ziel, in die Heimat zurückzukehren, auf jeden Fall zu erreichen.

Szene 2: Odysseus in der Unterwelt

Der Eröffnungschor der Gefährten erinnert an den Mannschaftschor des Holländers; Odysseus ruft Teiresias und den Geist seiner Mutter, aber zunächst folgen Chöre diverser Schatten (Kinder, Bräute, Jünglinge, Greise). Teiresias warnt Odysseus vor den Sirenen, die Mutter mahnt ihn zur Heimkehr zu Gattin und Vater. Odysseus Gefährten ergreift Todesangst, gemeinsam mit ihm verlassen sie den Hades.

Szene 3: Odysseus und die Sirenen

Die Gefährten eröffnen, unsicher zunächst, dann aber immer optimistischer (sie selbst haben Wachs in den Ohren, Odysseus ist an den Mast gebunden), als der Sirenengesang einsetzt; zum Ende wiederholen die Gefährten ihre selbstbewusste Melodie, sie sind gerettet.

Szene 4: Der Seesturm

Diese Szene ist inhaltlich und musikalisch zweigeteilt: zunächst tobt ein von Poseidon entfachter Sturm um den einsam auf einem Floß treibenden Odysseus, der sich im zweiten Teil durch das Eingreifen Leukotheas schwimmend auf die Insel Phäaken retten kann.

Szene 5: Penelope`s Trauer

Eine von zwei Soloszenen (beide für Penelope) mit arienhaftem Charakter, hier beginnend mit einem ausgedehnten Rezitativ, dem zwei gebetartige Arioso-Teile folgen. Im ersten Teil bittet Penelope um Schutz für ihren Sohn, im zweiten um die Rückkehr ihres Mannes.

Szene 6: Nausikaa

Wir sind zurück bei Odysseus und befinden uns auf Phäaken in einer dreiteiligen Szene: eine Reihe von Mädchen spielen mit der Königstochter Nausikaa Ball, Odysseus erwacht, preist in einem Arioso die Schönheit der Königstochter und erbittet Schutz, Nausikaas erklärt ihre Bereitschaft, Odysseus zu helfen und lädt ihn zu einem Festmahl ein.

Szene 7: Das Gastmahl bei den Phäaken

Nach einer Orchesterfanfare eröffnet eine lange Chorpassage die Szene, die in ihrem zweiten Teil auf die Ereignisse um Troja zurückblickt. Odysseus wird erkannt und bittet um Geleit in die Heimat im Rahmen eines Quartetts mit Chor. Seine Gastgeber stellen ihm ein Schiff zur Verfügung. Die Szene endet mit einem Chor-Fugato.

Szene 8: Penelope ein Gewand wirkend

Noch einmal eine Zäsur mit einer Solo-Szene für Penelope (sie reisst in dieser Szene ein Tuch auf, an dem sie tagsüber gewoben hat; sie hatte versprochen, einen ihrer Freier zum Gatten zu nehmen, sobald das Tuch fertig ist) vor dem glücklichen Ende der Irrfahrt. Die Szene ist fünfteilig strukturiert: ein liedhaftes Hauptthema erscheint dreimal, zweimal ergänzt durch bewegtere Parlando-Passagen.

Szene 9: Die Heimkehr

Odysseus wird schlafend an Land getragen, aber er erkennt zunächst nicht, wo er sich befindet. Aber Pallas Athene klärt ihn auf und berichtet ihm auch von den Freiern, die seine Gattin belästigen. Odysseus schwört Rache, Teil einer ursprünglich folgenden Szene, die von Bruch gestrichen wurde, vermutlich war ihm der diese Szene beendende Rachegesang ausreichend für die Darstellung von Odysseus` Befindlichkeit.

Szene 10: Fest auf Ithaka  

Drei Episoden gehen ineinander über: C-Dur Akkorde eröffnen Teil 1, der Chor lässt uns erzählend teilhaben an der durch Odysseus geübten Rache und endet schließlich mit zweifachen Triumphrufen; es folgt ein Duett Penelope/Odysseus, das auf dem Thema des Vorspiels beruht, in der Orchestereinleitung ist es z.B. ist fast wörtlich übernommen, am Ende des Duetts, im einzigen gemeinsam gesungenen Teil, erklingt es noch einmal zum Lob von Göttervater Zeus. Es folgt der dreiteilige triumphierende Schlusschor, dessen Mittelteil aus einer thematisch zweiteiligen Fuge besteht, am Ende heisst es: ´Nirgend ist ́s lieblicher ja, als in der Heimath, in der lieben Eltern Arm, an der trauten Gattin Brust! Triumph! Triumph! Siegreiche Dulder, Willkommen.`

 

Bruchs Odysseus erfreute sich großer Popularität .. bis zum Beginn des 1. Weltkriegs. Danach verschwand das Werk fast völlig in der Versenkung, was nicht an einem Mangel an Melodien, möglicherweise aber an einem Mangel an deren Eingängigkeit liegen kann. Noch mehr aber steht dem Erfolg des Odysseus eine nicht zu überhörende rhythmische Gleichförmigkeit und der auf Dauer ermüdende Dauereinsatz der Terzverwandschaft entgegen, die zusammen eine Reihe von Durststrecken auslösen. Der vom Rezensenten der AMZ nach der Uraufführung prophezeite ´immerwährende Erfolg` ist nicht eingetreten, aber, s.o., gelegentliche Revival sind absolut gerechtfertigt.


Arminius op. 43

Arminius ist Bruchs zweites Oratorium, geschrieben und zum ersten Mal aufgeführt im Jahr 1875. Der Komponist, der für seine Komposition ursprünglich den Titel ´Die Hermannsschlacht` vorgesehen hatte, aber war mit nicht zuletzt wegen der eher zwiespältigen Aufnahme des Publikums unzufrieden und nahm in der Folgezeit zahlreiche Änderungen und Kürzungen vor. Die revidierte Fassung wurde am 21. Januar 1977 in Zürich vorgestellt. Der Text stammt von Friedrich Hellmuth, einem 24jährigen Lehrer, der ihn unter dem Pseudonym J. Cüppers verfasst hatte. Er behandelt die Ereignisse um die legendäre Schlacht im Teuteburger Wald in vier Tableaux:

Einleitung

In fünf Teilen wird die Ausgangssituation geschildert: Nr. 1 ein Chor, in dem das Volk das Heranrücken der römischen Besatzer beschreibt. Nr. 2 Auftritt Arminius, der seine Friedfertigkeit darlegt, bestätigt vom Volk. Dann aber Hornsignale, der Krieger Siegmund tritt auf, beschreibt lebendig das herannahende römische Heer, angeführt von ihrem Feldherrn. Nr. 3 Chor der Römer, bei dem merkwürdigerweise auch die Frauenstimmen durchweg mitwirken, C-Dur, marschartiger Rhythmus, selbstbewusst, in der ganzen Welt triumphierend. Teil 4: Kurzes Rezitativ des Arminius, dann direkt attacca Nr. 5 der Chor, der Arminius` Worte ´Wir Wodans freie Söhne wir beugten nie den Nacken dem fremden Joch`. Daraus entwickelt sich ein Trialog Arminius, Siegmund und Chor, der am Ende noch einmal glanzvoll die Worte des Beginns wiederholt.

Im heiligen Hain

In der sogenannten Waldszene, mit Teil 6 und 7 bezeichnet, erzeugt Bruch eine durchgehend lyrische, naturverbundene Stimmung, erzeugt durch Hörnerklang, Streichertriolen. Eine Priesterin ruft Wotan an, der Chor tritt hinzu und unter ständiger Verdichtung des Satzes verklingt der Chor zur mehrfachen Wiederholung der Bitte an die Götter: ´Neigt euch gnädig uns`.

Der Aufstand

Die Teile 8 – 12: In einem ausgedehnten Rezitativ mit ariosen Perioden und Chorbeteiligung (8) beklagt Arminius die negativen Folgen der Besatzung. Siegmund tritt auf, berichtet im Rahmen einer Allegro-Appassionato-Arie davon, dass er, nachdem ein Römer seine Braut beleidigt hatte, diesen erschlug und daraufhin sein Vater von den Römern ins Gefängnis gesteckt wurde. Es folgt ein Klagechor des Volkes (10), der die beiden Soloszenen – Siegmund und Arminius (11) verklammert. Arminius schwört in einem ausgedehnten Rezitativ den Römern Rache, in der Germanen ureigenstes Gebiet – einen Wald – will er den Feind locken, die Szene schließt mit einem ariosen Teil zu den Worten ´Schon schwingt der Jüngling seine Lanze, schon flicht die Jungfrau Siegeskränze`, der zweimal wiederholt wird, beim zweiten Mal aber flechten nur noch die Jungfrauen. Kompositorisch unterscheidet Bruch beide Satzteile, der erste Teil eher staccato, der zweite bogenförmig kantabler angelegt. Im Schlußteil (12) stimmt das gesamte Volk dem Kampf für die Freiheit in einem ´Schlachtgesang` zu.   

Die Schlacht

Der Beginn des Kampfes wird von der Priesterin in Form von Rezitativ und Arie (13) geschildert, in der sie immer wieder auch Wotan um Hilfe anfleht. Es folgt ein Chor, der das erbarmungslose Kampfgeschehen drastisch beschreibt (14). Der Kampf ist siegreich beendet, aber auch viele Germanen sind gefallen, für die die Priesterin Freia um Aufnahme in Walhalla bittet (15). Zu ihnen gehört auch Siegmund, der in einer grossen opernhaften Szene mit Chor sterbend seine Aufnahme nach Walhalla erfleht und mit seinen letzten Atemzügen seine Braut besingt, die ihm engelgleich als Walküre erscheint (16). Der Chor setzt piano ein, allmählich aber steigert sich der Gesang zu einer schwungvollen Siegeshymne (17). Arminius tritt auf, in einem kurzen Rezitativ (18) dankt er den Göttern, direkt gefolgt vom Schluss-Hymnus, zu dem sich Priesterin, Arminius und der Chor zusammenfinden und über den ´Ruhm der deutschen Söhne` zu den mehrfach wiederholten Worten ´Der goldnen süßen Freiheit` gelangen.

 

Natürlich gingen insbesondere die Schlußworte von der ´goldnen süßen Freiheit` den Zeitgenossen Bruchs vor dem Hintergrund der soeben vollzogenen Reichsgründung unter die Haut und erste Kritiken waren durchaus positiv. Allmählich aber mehrten sich kritische Stimmen und das Werk blieb spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts so gut wie unbeachtet. Umso verdienstvoller ist die Aufnahme von Hermann Max, die aus der Zusammenarbeit des NDR und dem Varusschlacht im Osnabrücker Land GmbH – Museum und Park Kalkriese entstand und zumindest eine Hör-Bekanntschaft mit dem ´Arminius` ermöglicht, eine Bekanntschaft, die durchaus lohnenswert ist, auch wenn ´Arminius` die Qualität des Vorgängers nicht erreicht.

 

Achilleus op. 50

Schon direkt nach dem Erfolg des ´Odysseus` trug Bruch sich mit dem Gedanken an eine von Homers Ilias inspirierte Fortsetzung, die er aber erst ab 1881 ernsthaft zu verfolgen begann: der Anlass war eine sehr erfolgreiche Aufführung eben des ´Odysseus` in Liverpool. Mit Heinrich Bulthaupt, einem Bremer Bibliothekar, fand er nach längerer Vorbereitung 1882 einen geeigneten Librettisten, die Kompositionsarbeit begann während der USA-Reise im Frühsommer 1883, vollendet hat Bruch das Werk während seiner Tätigkeit in Breslau. ´Achilleus` wurde am 28. Juni 1885 auf dem Bonner Musikfest unter Leitung des Komponisten uraufgeführt.

Das Oratorium besteht aus drei Teilen sowie einem Prolog und Epilog.

Prolog

Eine reine dreiteilige Chorszene mit einer ausgedehnten Fuge als Mittelstück, in der die Hintergründe des Trojanischen Krieges erläutert werden, Achill wird mit keinem Wort erwähnt, aber das ´buhlerische Weib Helena`, das dem ´schönen Verführer` nach Troja folgte und das heilige Band der Ehe zerriss. Da die Bewohner Trojas dieses Unrecht verteidigen, ist die Stadt dem Untergang geweiht: so verkündet es der Chor im Schlussteil in einem die Tragik deutlich antizipierenden Tonfall. 

Teil 1  

Dieser Teil beginnt mit einer Szene, die Bruch in seinen Briefen häufig ´Volksversammlung` genannt hat. Die Griechen sind nach neun Jahren kriegsmüde und Agamemnon stimmt bereits zu, die Segel Richtung Heimat zu setzen, beantwortet durch den Chor mit einem eindeutigen Jubelchor. Aber Odysseus schreitet ein und erinnert seine Landsleute daran, dass die Götter auf ihrer Seite sind und der Sieg gewiss ist. Die Stimmung schlägt um und die Schlacht geht weiter. Die Szene wechselt, der Titelheld wird in einem langen, stark rezitativisch geprägten Gesang vorgestellt. Er hat sich mit Agamemnon überworfen und seine Männer aus der griechischen Streitmacht zurückgezogen. Sein Freund Patroklus kämpft mit den Griechen, wird aber von Hektor getötet. Achill ist am Boden zerstört, als er diese Nachricht erhält und ruft seine Mutter Thetis um Hilfe an. Es folgt ein Chorintermezzo als epische Brücke zwischen der Dramatik der Achilleus-Solo-Szene und der kommenden mit seiner Mutter. Thetis erscheint, verspricht ihrem Sohn Trost in einem weit ausschwingenden Solo begleitet vom Chor der Meeresgöttinnen. Es schliesst sich ein Gespräch an zwischen Mutter und Sohn in kantabel gehaltenem Rezitativ, das Achills Schicksal, seinen unvermeidbaren Tod verdeutlicht, zugleich aber seine Bereitschaft zu sterben unterstreicht, sobald er den Tod seines Freundes gerächt hat. Die Szene endet mit einer Duett-Passage um Achills neue feuerbewehrte Rüstung. Zum Ende von Teil 1 folgt ein weiterer Chor als eine Art Zwischenspiel, in dem die Aufnahme Thetis in den Olymp beschrieben wird.

Teil 2

Teil 2 führt uns in die belagerte Stadt zur Familie von König Priamos, zur heimlichen Heldin des Stücks Andromache, Hektors Ehefrau, die diesen Teil mit einer als Rezitativ und Arie konzipierten Szene (Nr. 8) einleitet, die mit der Ruhe der Morgendämmerung einsetzt, dann über die Verzweiflung angesichts des Kriegs in ein Friedensgebet übergeht, ein Friedensgebet, das verständlicherweise den eigenen Mann als Sieger erhofft. Im folgenden Ensemble mit Chor (Nr. 9 – Morgengesang der Trojaner) treten Hektor, sein Vater Priamos und seine Schwester Polyxena dazu und beten gemeinsam mit dem Volk für den Sieg in der kommenden Schlacht. Das folgende Duett Hektor – Andromache ist ähnlich konzipiert wie in Teil 1 das für Achilleus und Thetis. Hektor verabschiedet sich, seine Frau versucht ihn mit Verweis auf ihre und die Situation ihres gemeinsamen Sohnes nach seinem möglichen Tod zurückzuhalten. Hektor aber zieht hinaus in den Kampf, im Gebet an die Götter vereinen sich die beiden Stimmen am Ende der Szene. Noch einmal vereinen sich die vier trojanischen Protagonisten mit dem Volk in einem Aufruf zum Kampf, der in einem fast triumphierenden ´Wir bringen die Tage der Freiheit zurück` endet. Teil 2 endet mit einer Chor-Mauerschau (Nr. 12) auf den Kampf der beiden Heere, besonders den Zweikampf Achill – Hektor. Im entscheidenden Moment – bei Hektors Tod – wechselt die Perspektive von der Chor-Dramatik weg zu einer fast feierlich-mystischen Sphäre, um die von den Göttern gewollte und erfüllte schicksalhafte Notwendigkeit seines Todes zu unterstreichen: er fiel dem Zorn der Götter zum Opfer. Die Szene aber endet mit Hochrufen für Achill.

Teil 3

Nr. 13 – Leichenfeier für Patroklus - beginnt mit einem kurzen Trauermarsch, den der Chor aufgreift und erweitert, ehe Achill in einer grossen dreiteiligen Szene mit Chor die Errichtung eines Scheiterhaufens anordnet, noch einmal nimmt er gefühlvoll Abschied vom geliebten Freund, ehe er den Scheiterhaufen entzündet und seinen Freund zu den Worten ´Nehmt euer Opfer heilige Flammen` dem Feuer überantwortet. Den Abschluss dieser Szene bilden drei Orchesterstücke, genannt ´Ringkämpfer`, ´Wagenrennen` und ´Die Sieger`, alle drei eingeleitet von einer motivisch verwandten Fanfare.   

Ein lyrisches Chor-Intermezzo kündigt Priamos an, der in der folgenden Szene bei Achill erscheint, um von ihm den Leichnams Hektors zu erbitten. Achills zunächst schroffe Ablehnung schlägt um, als er das Bild des eigenen Vaters vor Augen hat. Die Szene klingt aus mit einem kanonisch geführten Duett. Das Ende des Oratoriums gehört Andromache in einer dreiteiligen Szene, beginnend mit einem Rezitativ, das die Rückkehr von König Priamos mit Hektors Leichnam beschreibt. Es folgt ein ergreifendes Arioso, den Abschluss bildet eine eher rezitativisch angelegte Passage, in der Andromache den Untergangs Trojas prophezeit.

Epilog

Natürlich ein Chorstück, das den Tod Achills, den Untergang Trojas und zum Ende den ewig währenden Ruhm des Titelhelden besingt.

 

Kretzschmars Einschätzung, dass der ´Achilleus` über dem `Odysseus` steht, hat der Komposition in den letzten 120 Jahren nicht geholfen, Aufführungen des allerdings nicht gerade kurzen Werks sind Mangelware. Dazu mag auch die sehr negative Einschätzung Fifields beigetragen haben: ´Bruchs melodische Erfindung kommt selten über seiner phantasielosen, einfallsarmen Harmonik und kontrapunktischen Gestaltung zum Vorschein.` Diese harsche Einschätzung scheint übertrieben, zumal im `Achilleus` der Chor eine ganz wichtige Rolle spielt und gerade diese Passagen gehören zu den gelungensten des Werks, insbesondere in ihrer kontrapunktischen Formung und auch die in tiefe Trauer getauchten Soloszenen des Achill und der Andromache, nicht zu vergessen die Leichnams-Bitte des Priamos werden auch ein heutiges Publikum beeeindrucken.  

 

 

Moses op. 67

Erste Ideen zu diesem Werk hatte Bruch bereits 1889, setzte es aber erst ab Beginn des Jahres 1894 in die Tat um. Der Text stammt von Ludwig Spitta, Bruder von Bruchs Freund Philipp Spitta. Die Uraufführung fand am 19.1.1895 in Barmen statt. Weitere Aufführungen gab es bald darauf in Bonn, Düsseldorf, Schwerin sowie 1896 in Berlin, Gotha und Baltimore. Danach verschwand das Werk aus dem Repertoire.

Moses, ein biblisches Oratorium für Chor und drei Solisten - Moses (Bass), Aaron (Tenor), Engel des Herrn (Sopran) - besteht aus vier Teilen.

Teil 1: Am Sinai

Dieser Teil, der den Empfang der Zehn Gebote thematisiert, ist in sechs Abschnitte geteilt. Es beginnt mit einer grossen Chorszene, in der die Grundidee des Oratoriums, die Preisung des einen, einzigen Gottes, die Preisung des Monotheismus vorgestellt wird. Ein Engel eben dieses Gottes tritt auf, verkündet dem Volk im letzten Teil der Szene in volksliednahem Ton das Ende der Wanderschaft. Der Titelheld tritt auf (Nr. 3) als Übergang und Einleitung zur nächsten, der zentralen Szene des ersten Teils, dem Lobgesang (Nr. 4). Dieses ausgedehnte Ensemble für Chor und die Solisten Moses und Aaron ist dreiteilig angelegt: am Beginn steht die Anrufung Gottes, im Mittelteil wird seine Macht gepriesen, Abschnitt drei greift thematisch auf den Beginn zurück, in einer leise verklingenden Coda blickt das Volk in Bruchs Vorstellung Moses nach, der langsam auf den heiligen Berg steigt. Der Engel erscheint wieder, verkündet die baldige Ankunft Gottes auf dem Gipfel des Sinai, Moses bestellt Aaron zu seinem Stellvertreter und beginnt mit dem Aufstieg. Ein kurzer, das Verschwinden Moses in der Wolke beschreibender Chor (Nr. 6) beendet Teil 1.  

Teil 2: Das goldene Kalb

Vierzig Tage hat das Volk auf Moses gewartet, Zweifel breiten sich aus, kulminieren in der dreimal wiederholten Frage: ´Mann Gottes, Mose, wo bist du` (Nr. 7). Auch das zu zaghafte Einschreiten Aarons vermag die Menschen nicht umzustimmen, ein neuer Gott muss her, der Tanz um das Goldene Kalb beginnt, leider musikalisch zu zahm. Endlich aber kehrt Moses zurück (Nr. 9): in seinem ersten großen Auftritt erinnert er die Menschen an die Wundertaten Gottes, fordert sie zur Umkehr auf, aber bis zum Ende der Szene bekehrt sich lediglich der Bass im Chor, die drei anderen Stimmen bleiben feindlich, Sopran und Alt bezeichnen Moses sogar als Tyrann.

Teil 3: Die Rückkehr der Kundschafter aus Kanaan

Noch während der vorherigen Auseinandersetzung kehren die nach Kanaan entsandten Kundschafter zurück, in einem mehrteiligen, fast idyllisch anmutenden Chor (ohne Sopran) beschreiben sie das von Moses versprochene gelobte Land (Nr. 10). Die beiden nächsten Szenen greifen ineinander: zunächst ein vorwurfsvoller Moses mit der Einflechtung eines kurzen Zitats aus dem Tanz ums goldenen Kalb, dann ein reuevoller, um Gnade bittender Aaron zunächst Solo, später mit Chor, der Aarons Kantilene aufgreift und vertieft. Dann: Kriegsfanfaren: die Amalekiter tauchen auf. Fast wie in einer Verdi-Stretta ruft Aaron das Volk zum Kampf. Moses übernimmt das Kommando, der Engel erscheint, weist Moses an, die Arme ausgebreitet zu halten; die himmlischen Heerscharen kommen zu Hilfe, der Triumph spiegelt sich im monumental-grandiosen Ende des dritten Teils.  

Teil 4: Das Land der Verheissung

Der Engel erscheint, verkündet Moses seinen baldigen Tod, zugleich aber die Ankunft des Volkes im Gelobten Land in einer dreiteiligen Szene (Nr. 14), im pianissimo von der Orgel eingeleitet, gefolgt zunächst von einem Rezitativ im alten Stil, fortgesetzt mit einem Arioso, das den kommenden Tod als ´Benedeite Wallfahrt` feiert und mit den getragenen Tönen des Beginns endet. Moses antwortet rezitativisch knapp in 27 Takten, er sei bereit. Der Chor setzt ein (Nr. 16), nach der Beschreibung des beschwerlichen Aufstiegs, kommt Bewegung in die Führung des Chors und kulminiert in den triumphierenden Ruf ´Kanaan`. Dieses Motiv greift das Orchester zum Ende der Szene auf und leitet attacca über zu Moses, der dem Volk seinen letzten Segen erteilt. Zum Abschluß des Werks folgen zwei Chorszenen: die Bässe allein berichten mit Begleitung von Orgel und Posaune vom Tod Moses (Nr. 18), wiederum attacca übergehend in den finalen Satz, der den Titel trägt ´Die Klage des Volks über Moses` und am Ende in den freudigen Aufschrei über das Erreichen Kanaans in mehrfachen ´Heil`-Rufen endet.

 

Es ist nicht ganz abwegig, Bruchs Komposition des ´Moses` auch als Hommage an Bismarck zu verstehen, dessen Entlassung während der ersten Arbeiten an dem Werk Bruch tief bewegt hatte und dessen Bild als prophetisch politischer Führer in jenen Tagen in Deutschland sehr präsent war. Andererseits hat Bruch festgestellt, dass er Moses nicht hätte schreiben können, ´wenn in mir nicht ein tiefes Gefühl für Gott lebendig wäre`. Das Werk ist also irgendwo zwischen weltlich und geistlich angesiedelt, was es nicht zwingend ins totale Abseits stellt, eher sind es die schon die Zeitgenossen störenden fehlenden innovativen Elemente der Komposition (zur gleichen Zeit entstanden z.B. Mahlers 2. Sinfonie und Debussys Prelude à l`après-midi d`un faune`). Positiv ausgedrückt: Bruch ist sich selbst treu geblieben, weniger positiv: es gibt schlicht zu wenig Neues in seinem Moses op. 57. 

 

Gustav Adolf op. 73

Bruchs letztes grosses Oratorium schrieb er nach einem Text des Theologen und Pastors Albert Hackenberg in den Jahren 1897/8, die Uraufführung fand am 22. Mai 1898 in Barmen statt. Es ist ein Bekenntniswerk des Protestantismus, ein später Nachklang des mehr als 20 Jahre zuvor ausgetragenen Kulturkampfs, womit es bereits inhaltlich aus der Entstehungszeit fällt, aber auch musikalisch nimmt Bruch eindeutig Stellung gegen die moderne Musik zum Ende des 19. Jahrhunderts. Ganz bewusst greift er zurück auf Volks- und Kirchenlieder aus der Zeit des 30jährigen Kriegs sowie Lutherische Choräle. Sie ´durchbrechen im ´Gustav Adolf` immer wieder große formale Zusammenhänge` wodurch ´in der Rückbesinnung auf vorgestrige Zeit die Form des Großwerks Oratorium vollends` zerfällt. ´Die Übernahme .. zeigt die Erschöpfung der Bruchschen Tonsprache im Jahr 1897.` (Schwarz S. 344).   

Gustav Adolf besteht aus 4 Abschnitten mit insgesamt 14 Szenen.

Teil 1: Erwartung und Ankunft Gustav Adolfs

In diesem Prolog versammelt sich das ´protestantische Volk` in der Hoffnung auf den Retter Gustav Adolf von Schweden; alle Stilelemente – poetisch und musikalisch – werden von Bruch bereits in dieser ersten Szene eingeführt

Teil 2: Magdeburgszene

Dieser Teil umfasst die Szenen 2 – 7 von der Ankunft des schwedischen Heeres über die nicht zuletzt aus Gründen des musikalischen Kontrasts notwendige Einführung Leubelfings, der Gustav Adolfs Page wird und in seinen Liedern einen naiv-volkstümlichen Ton anschlägt.  In der letzten Szene überbringt Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar – die dritte Solopartie des Stücks - die Nachricht vom Fall der Stadt Magdeburg. Sie endet mit einem Aufruf Gustav Adolfs zu den Worten ´Auf, zücket das Schwert zum heiligen Krieg`, dem Kretzschmar ´eine von Händelscher Grösse erfüllte Leistung` bescheinigt.

Teil 3: Münchenszene

Die Szenen 8 – 11 beginnen mit der Chor-Erzählung vom Sieg über Tilly bei Breitenfeld und enden mit dem bejubelten Erfolg Gustav Adolphs, der Einnahme Münchens im Jahre 1632.

Teil 4: Tod und Verklärung Gustav Adolfs

Die letzten drei Szenen des Oratoriums sind angesiedelt um die Schlacht bei Lützen, in der Gustav Adolph stirbt. Teil 1 (Nr. 12) ist sehr vielschichtig: nach einem Lied für Leubelfing, einem ausgedehnten Duett für König und Page, aus dem sich ein der Erinnerung des Königs an die schwedische Heimat gewidmetes Solo entwickelt, endet die Szene mit einem Aufruf zur Schlacht, angestimmt von Herzog Bernhard, in den Gustav Adolf und der Chor kraftvoll einstimmen. In Nr. 13 beklagt Leufelfing des Tod des Königs, die letzte Szene spielt in der Schlosskirche zu Wittenberg, Bernhard und der Chor nehmen Abschied von der oberhalb von Luthers Gruft aufgebahrten Leiche Gustav Adolfs, das Werk endet mit dem Zitat des Chorals ´Ein feste Burg`.

Leider liegt bisher keine Tonaufnahme des Werks vor. Die zahlreichen Aufführungen bis 1917 – Bruch spricht in einem Brief von 65-70 innerhalb der 20 Jahre seit Entstehung des Werks – lassen den Schluss zu, dass Gustav Adolf trotz der erwähnten stilistischen Ungereimtheiten und des heute nur noch bedingt relevanten Sujets in vielen Teilen durchaus hörenswert ist.

 

Das Lied von der Glocke op. 45

Bruch hat zu Beginn des Jahres 1877 mit der Komposition von Schillers berühmten Gedicht begonnen und die Partitur im Frühjahr 1888 fertiggestellt. Die Uraufführung fand am 12. Mai 1888 im Kölner Gürzenich unter Leitung des Komponisten statt. Das Werk ist gesetzt für Chor, vier Solostimmen, Orchester und Orgel und besteht aus zwei Teilen mit 27 Einzelnummern, die häufig direkt ineinander übergehen. Vielfach wird die Eignung dieser Allegorie, die die Arbeitsgänge des Glockengiessens benutzt, um die menschlichen Lebensstationen von der Geburt bis zum Tod einschliesslich auch eines etwaigen gewaltsamen Freiheitsstrebens zu beschreiben, zur Vertonung bezweifelt, Kretzschmar geht so weit, jede Vertonung der ´Glocke` als zum Bruchstück verurteilt zu bezeichnen, bescheinigt der Komposition aber unleugbare Schönheiten (S. 574).

Teil 1

Das Werk beginnt in einer Art Prolog mit einem Chor, der das Motto des Gedichts ´Vivos voco, mortuos plango, fulgura frango - Ich rufe die Lebenden, beweine die Toten, bezähme den Blitz` in einem feierlichen Andante sostenuto vorstellt. Dem Bass gehören die ersten Zeilen des Gedichts unterstützt vom männlichen Teil des Chors, das Motiv des Beginns ist im Verlauf des Werks immer wieder zu hören, z. B. beim Beginn des Teils 2 (ebenfalls dem Solobass übertragen). Es schliesst sich ein kurzes Orchesterzwischenspiel an, das in einen anmutigen Chor mündet, der Geburt und Lebensbeginn verklärt (Nr. 3). Dann tritt mit einem Rezitativ der Solotenor auf, der, unterstützt von einem munteren Orchestersatz, die stürmischen Jugendjahre beschreibt, ehe eine Arie mit Chor auf die erste Liebe des Menschen eingeht ´O zarte Sehnsucht, süsses Hoffen`.  Zwei Rezitativ-Passagen folgen, ins zweite ist ein schönes Sopransolo ´Lieblich in der Bräute Locken` eingebettet (Nr. 7). Der Mann aber muss hinaus in den Kampf wie der Chor anschliessend verkündet, allerdings kontrastiert von einem eher sanften Mittelteil (Nr. 8). Inzwischen ist aus dem jungen Mann ein Ehemann und Vater geworden, der seine Lieben und sein Eigentum vor den Naturgewalten beschützen will (Nr. 9 – 11), ein Sturm bricht los, zerstört alles (Nr. 12). Teil 1 endet mit dem Dank des Menschen, dass seine Lieben und er überlebt haben. Angeführt vom Sopran beginnt ein Quartett, es stimmen alle Solisten und der Chor ein ´Ein süsser Trost ist ihm geblieben`.

Teil 2

Der Bass eröffnet thematisch analog Teil 1 mit zwei kurzen Rezitativen (Nr. 14 u. 15) gefolgt vom Chor mit einem Grabgesang ´Von dem Dome schwer und bang`. Die folgende Altarie bringt Klarheit: ´Ach! die Gattin ist’s, die teure` (Nr. 17). Im Anschluss zeigt sich Bruch als Freund des Volkslieds im Bass-Allegretto ´Wie im Laub der Vogel spielet`. Nach einem Terzett-Intermezzo stimmt der Sopran die Vaterlandshymne ´Heilge Ordnung an, die vom Chor übernommen und zu einem zündenden Höhepunkt geführt wird (Nr. 21). Gleich anschliessend folgt ein kaum weniger eindringliches Friedensterzett für Sopran, Alt und Tenor, in das Bruch in der Orchesterbegleitung die ersten vier Takte von ´Stille Nacht` eingearbeitet hat. Es folgt eine ausgedehnte Szene mit dem Ruf nach Freiheit, dem Aufstand (beschrieben mithilfe eines Orchestermarsches), aber der Meister (Bass) schreitet ein und verkündet ´Freude`, die Glocke wird auf den Namen Concordia getauft (Nr. 25). Die Glocke soll ab sofort Eintracht, Freude und Frieden bringen Nr. 26 u. 27).



Schön Ellen op. 23

Diese Ballade für Bariton, Sopran, Chor und Orchester basiert auf einem historischen Ereignis während des indischen Aufstands der Jahre 1857/8. Der Text stammt von Emanuel Geibel und behandelt die Belagerung der Stadt Lucknow durch abtrünnige Soldaten der Ostindischen Kompanie. Die ausgehungerte Stadt steht kurz vor der Einnahme, aber ein junges Mädchen – Schön Ellen – verkündet hellseherisch das Nahen von englischen Truppen. Genauso kommt es, Lucknow wird befreit. Geschrieben 1866 vor dem Hintergrund des preussisch-östereichischen Kriegs insbesondere der entscheidenden Schlacht bei Königgrätz liegt der Gegenwartsbezug auf der Hand, die Uraufführung in Koblenz am 22. Februar 1867 in Koblenz fand grosse Zustimmung, nicht zuletzt von Kennern wie Hermann Levy und Clara Schumann.

Das knapp 12minütige Stück beginnt mit einem Rezitativ des Kommandanten - Bass (Verse 1 u. 2), der Chor antwortet mit einem Hinweis auf Ellen - Sopran (Verse 3 u. 4), die im Anschluss zur Melodie des schottischen Volkslieds ´The Campbells are coming` ihre Vision beschreibt (Verse 5 u. 6). Bass und Chor zweifeln, aber Ellen wiederholt ihre Vision (Verse 7-10). Die Zweifel bleiben, aber als der Feind zu siegen scheint und der Kommandant in einem kurzen Arioso Abschied nimmt, ergreift Ellen die Fahne (Verse 11-13). Die Campbells erscheinen zu einem kleinen Orchester-Intermezzo, das Blatt wendet und zu einer gelungenen Transformation des Volkslieds verklingt das Stück in einem thriumphalen Schluss.


 "Nun gnade dir Gott, du belagerte Schaar!

Was fromm noch, daß ich's verschweige?

Wir haben nicht länger Brod noch Wein,

das Pulver geht auf die Neige.

 

Und kommt nicht Hülle, und kommt sie nicht bald,

den wimmelnden Feind zu bestehen,

so sehn wir die Sonne, die roth dort steigt

wohl nimmermehr untergeh'n."

 

Lord Edward sprach's, trüb' standen umher

die tapfern Waffengenossen,

Schön Ellen lehnt an des Feldstücks Rad

vom bunten Plaid umflossen.

 

Sie starrt hinaus in die leere Luft,

als ob ein Zauber sie bannte,

da plötzlich fährt sie empor wie im Traum,

ihr dunkles Auge brannte.

 

"Nun schaut ihr Brüder, nun schaut vom Turm,

und habt ihr nichts vernommen?

Mir däucht, ich höre ganz fern den Marsch,

den Marsch: die Campbells kommen!

 

Ich höre die große Trommel dumpf,

ich höre des Pibrochs Weise,

wie könnt' ich vergessen der alten Treu

so spielt in den Winden es leise!"

 

"Ach Mädchen, was redest du Traum und Trug!

Vom Turm ist nichts zu sehn

als blaue Luft und gelber Sand

und fern des Rohrfelds Wehen!"

 

Und die Sonne stieg in die Mittagshöh'

und die Sonne begann sich zu neigen,

Sie luden die Stücke zum letzten Mal,

sie drückten die Hand sich mit Schweigen.

 

Schön Ellen starrt in die leere Luft,

ihr dunkles Gesicht war erglommen,

"Ich hab's euch gesagt und ich sag's auf's Neu,

ich hör's, die Campbells kommen!

 

Ich höre den dumpfen Trommelschlag

zum gellenden Pibrochtone,

ich höre den schütternden Schritt auf dem Grund,

der Schritt der Bataillone!"

 

"Ach Mädchen, wir spähen und spähen umsonst,

und schon bricht ein das Verderben,

der Feind, schon legt er die Leitern an,

nun gilt's mit Ehren zu sterben!

 

Fahrt wohl denn, Weib und Kind daheim,

und ihr Hochlandseen und Haiden!

Und nun, Kameraden, gebt Feuer mit Gott,

und die Schwerter hervor aus den Scheiden!"

 

Und die Salve kracht und der Sturm ward heiss,

und Dampf lag über den Wällen,

und als der Fähndrich zu Boden sank

da fasste die Fahne Schön Eilen!

 

"Nun steht, ihr Brüder, nun steht,

ganz nah schon hör' ich die Weise!

Ha seht, schon zerreißt das Gewölk,

und der Blick wird offen im Kreise!"

 

Und da brach's in den Feind wie Hochlandssturm

und jetzt von Allen vernommen,

hoch über den Rauch fortwogte der Marsch,

der Marsch: die Campbells kommen.

 

Seht! Schon blitzt es heran, durch das weite Gefild,

und es kommt in Geschwadern gezogen,

mit gewürfeltem Plaid und mit Federn

vom Aar, und Englands Banner wogen!

 

Und der Feind zerstob, und sie zogen in's Tor

und Ellen sang, wie sie bliesen:

"Nun hat uns errettet die alte Treu,

und Gott in der Höh' sei gepriesen!"

 

Damajanti für Sopran, Chor und Orchester op. 78

Schon 1886 beschäftigte sich Bruch erstmals mit dem indischen Epos Nala und Damajanti, aber erst 1899 stand der Szenenplan fest und etwa 1903 schloss er die Komposition ab. Nala und Damajanti ist eine Episode aus dem indischen Epos Mahabharata. Sie handelt von König Nala und seiner Frau Damajanti: Nala verliert im Würfelspiel sein Königreich und muss mit seiner treuen Gattin in die Verbannung in die Wildnis ziehen, wo Damajanti von Nala verlassen wird. Voneinander getrennt erleiden die beiden diverse Abenteuer, ehe sie schließlich glücklich vereint werden und Nala sein Königreich wiedererlangt. Aus dieser Geschichte wählte Bruch aus Teilen der Rückertschen Übersetzung des Stoffes und Fragmenten einer Dichtung von Heinrich Bulthaupt drei Szenen aus, die sich ausschliesslich mit der verlassenen Damajanti und ihrer Suche nach Nala befassen. Nach einer langsamen Orchestereinleitung folgt eine rezitativisch-lyrische Sopran-Soloszene der verzweifelten Damajanti, die aber in der Liebe die notwendige Kraft für einen Besuch der Büßer im Hain findet, von denen sie sich Hilfe für die Suche nach Nala erhofft. Szene 2 ist eine reine, sehr lyrische Flora und Fauna im Hain beschreibende Chorszene, während die attacca beginnende Szene 3 Sopran und Chor im Dialog gegenüberstellt. Nach einem Moment totaler Verwirrung – Damajanti fragt sich, ob sie sich alles nur eingebildet habe – begibt sie voller Hoffnung wieder auf die Suche nach Nala, getragen, analog zur ersten Szene, von der Liebe.

 

OPER

Die Loreley

Das Libretto hat der Verfasser Emanuel Geibel ursprünglich für Felix Mendelssohn geschrieben, der vor seinem frühen Tod nur noch drei Abschnitte in Musik setzen konnte. Als Geibel den Text 1860 veröffentlichen ließ, war Bruch von dem Buch so begeistert, dass er sofort ohne Genehmigung des Verfassers mit der Komposition begann. Nach einigem Hin und Her gab Geibel das Libretto 1862 für Bruch frei, die Oper wurde am 14. Juni 1863 in Mannheim uraufgeführt.

Vorspiel

Eher geheimnisvolle Klänge leiten ein, dann ein lyrisches Thema, das zum Ende vom gesamten Orchester aufgegriffen wird

Akt 1

Pfalzgraf Otto hat eine Liaison mit Lenore, der Tochter des Fährmanns Hubert. Am Tage seiner Hochzeit mit der Gräfin Bertha, Nichte des Erzbischoffs von Mainz, trifft er noch einmal seine Geliebte, die seine wahre Identität nicht kennt, bringt es aber nicht über sich, sie über seine kurz bevorstehende Hochzeit zu informieren. Der Zufall will es, dass Lenore ausgewählt wird, dem Brautpaar den ersten Becher Wein zu überreichen. Lenore erkennt Otto und bricht ohnmächtig zusammen. 

Zunächst geht es musikalisch idyllisch zu, es werden Otto mit Rezitativ und Arie und Lenore mit einem Lied eingeführt, treffen sich zu einem Duett und Lenore beschließt diesen Teil mit einem vom Fernchor begleiteten Ave Maria. Auch im folgenden Ensemble, in dem Hubert eingeführt wird, und dem Lied der Winzerinnen herrscht eher fröhliche Stimmung, erst in der Hochzeitsszene nach einem Jubelchor beginnt sich mit Lenoras Erkenntnis sich die Stimmung zu verdüstern bis hinein in den

Akt 2

Lenores große Szene, in der sie von den Rheintöchtern die besondere Gabe erhält, als ´Braut des Rheines` alle Männer verführen und ins Verderben stürzen zu können.

Der Chor der Rheingeister eröffnet die Szene, Lenores anschliessender Klagegesang ist eher rezitativisch geprägt, in der folgenden Auseinandersetzung mit dem Chor zeichnet das musikalische Geschehen eindrucksvoll die Wandlung der liebenden jungen Frau zu einer nur noch auf Rache sinnenden Furie nach.

Akt 3

In der Burg wird Hochzeit gefeiert, das Lied eines Minnesängers wird von Otto unterbrochen, weil ihm die Anspielungen auf Treue und Rache nicht gefallen. Der goldene Weinpokal wird gereicht – von Lenore, verwandelt zur Loreley, die von der Qual der Liebe zu singen beginnt, woraufhin alle Männer ihrem Zauber verfallen. Ein umfangreiches Ensemble schliesst sich an, in dem Otto seine Liebe zu Lenore gesteht. Als sich ein Kampf zwischen und den anderen Rittern um Lenore (Loreley) anbahnt, erscheint der Erzbischoff, bezichtigt Lenore der Hexerei und lässt sie festnehmen. Die Szene wechselt zu Bertha, die entsetzt geflohen ist und in einer Seitenkapelle in Form eines Rezitativs mit Kavatine ein Gebet zum Himmel schickt, dann macht auch sie sich auf zum Prozess. In der Kirche ist inzwischen Lenore zum Tode verurteilt worden, schafft aber infolge ihrer Wirkung auf Männer, dieses Urteil in einen Freispruch zu umzuwandeln. Otto ist entschlossen, Lenore zurückzugewinnen, er verflucht seine Frau, woraufhin der Erzbischoff ihn exkommuniziert.

Akt 4

Ein Chor der Winzer eröffnet die Szene, Hubert singt ein verständlich trauriges Lied (Bertha ist inzwischen gestorben). Ein zutiefst reumütiger Otto erscheint, er will Lenore unter allen zurückgewinnen wie er in einer beeindruckend konzipierten Arie kundtut. Lenore erscheint auf ihrem Felsen: es entwickelt sich eine glutvolle, sich ständig steigernde Schlußszene von beinahe 20 Minuten Dauer, fast gelingt es Otto, Lenore zurückzugewinnen, aber die Rheingeister erinnern sie an ihren Schwur. Schließlich stürzt sich Otto verzweifelt in den Rhein, Lenore hingegen thront auf ihrem Felsen, zu den Worten ´Wer mir naht und die Treue verriet, ihn reisst mit Gewalt in den Strudel mein Lied` erklingt eine wunderbare, fast verdische Kantilene; die Rheingeister huldigen ihr als ´Königin vom Rhein`.   

 

Merkwürdig, dass kein deutschsprachiger Kritiker den Vergleich zu Wagner zieht, zum ´romantischen` Wagner vom ´Fliegenden Holländer` über den ´Tannhäuser` bis hin zu ´Lohengrin`, von ´Rienzi` oder weiteren Frühwerken ganz zu schweigen. Überall wird Bruch vorgehalten, dass er sich nicht mit den grundlegenden Neuerungen Wagners beschäftigte. Wie aber sollte er? ´Tristan und Isolde` wurde 1865 uraufgeführt, zwei Jahre nach seiner ´Loreley`. Alle weiteren Musikdramen Wagners erschienen entsprechend später. Der romantische Wagner aber klingt immer wieder durch in dieser Oper, genauso wie bei Spohr, Schumann und diversen weiteren Komponisten dieser Jahre, weil deren Werke – einschließlich Wagner – in romantischem Geist entstanden. Dabei ist nicht zu vergessen, daß Bruch die Loreley im jugendlichen Alter von 22 Jahren zu schreiben begann, was Clara Schumann zu folgender Aussage brachte: ´es sind sehr schöne Momente darin, durchweg Orchester und Chor so meisterhaft behandelt, dass ich es kaum von einem so jungen Componisten begreife.` Die Loreley ist tatsächlich ein Werk von großer melodischer Kraft mit beeindruckend differenzierten Chören (Winzerinnen, Rheingeister, Hochzeitgäste), imposanten Ensembles und nicht zuletzt effektvollen Arien, Liedern und Kavatinen. Das Manko ist im wesentlichen das betuliche Libretto, hier und da auch die ´konzertant wirkende` (U. Schreiber) Musik, die bereits auf den späteren Oratorien-Komponisten verweist.   

 

WEITERE WERKE:

Opern und Kantaten

Neben ´Loreley` schrieb Bruch zwei weitere Opern, sein op. 1 nach Goethe mit dem Titel ´Scherz, List und Rache`, eine komische Oper mit Ouvertüre für Klavier zu vier Händen und in einem Akt zusammengefassten 16 Szenen mit zweihändiger Klavierbegleitung. Ein weiterer Opernversuch mit dem Titel ´Hermione` nach Shakespeares ´Wintermärchen` scheiterte in erster Linie am schwachen Libretto, wurde aber auch von Bruch selbst kritisch beurteilt (lediglich der melodische dritte Akt gefiel ihm noch, in den anderen Akten sei ´das deklamatorische Element zu sehr` im Vordergrund). In jüngster Zeit wurden zumindest das Vorspiel, der Trauermarsch und das Entre`act zum vierten Akt von Robert Trevino mit den Bamberger Symphonikern aufgenommen.

Von den weiteren Kantaten seien erwähnt Salamis – Siegesgesang der Griechen op. 25, eine Stimmungsbeschreibung der von der Schlacht gegen die Perser zurückkehrenden Soldaten für reine Männerstimmen (Solo, Chor) und Orchester, der Normannenzug op. 32, die Vertonung eines Ausschnitts aus dem neunten Kapitel des Romans Ekkehard: Eine Geschichte aus dem zehnten Jahrhundert von Victor von Scheffels. Die Komposition stammt aus dem Jahr 1869, uraufgeführt wurde das Werk im nächsten Jahr in Leipzig, dem Kretzschmar bescheinigt, es sei unter den Frithjof-Ablegern ´einer der bestgediehenen, einfach und kraftvoll entworfen und durchgeführt`. Das Feuerkreuz op. 52 verarbeitet Teile von Sir Walter Scotts Prosagedicht The Lady of the Lake, Heinrich Bulthaupt formte daraus acht Szenen um eine Schlacht zwischen zwei schottischen Clans, in denen das Kreuz die verbindende Rolle spielt, weil es durch die Weitergabe innerhalb der Highlands die Mobilisierung der Soldaten symbolisiert. Am bekanntesten daraus ist das Ave Maria, die sechste Szene, geworden, insbesondere in der Fassung für Cello und Orchester (s.o.)

 

Lieder

Bruch hat zahlreiche Lieder für Solostimme und natürlich für Chor geschrieben, die sich im Konzertleben überhaupt nicht wiederfinden. Umso verdienstvoller sind die Einspielungen zum einen des Baritons Rafael Fingerlos, der mit seinem Klavierpartner Sascha El Mouissi eine relativ repräsentative Auswahl  auf dem cpo-Label vorgestellt hat, darunter die sogenannten Siechentrost-Lieder op. 54, die sich durch die zusätzliche Begleitung einer Violine und der Einfügung von Duetten und eines dreistimmigen Stücks von der üblichen Liedform abheben: eine durchaus lohnenswerte Begegnung. Während Fingerlos sich im wesentlichen auf ausgewählte Einzelstücke beschränkt, ging Wolfgang Seeliger mit seinem Konzertchor Darmstadt einen anderen Weg: auf zwei CDs stellt er einige der Chorzyklen komplett vor, beginnend mit den fünf Liedern op. 36 (1871) und endend mit einem Spätwerk, den sechs Liedern op. 86 aus dem Jahr 1911. Insgesamt richten sich die beiden Versuche der Wiederbelebung eher an ganz speziell Interessierte.

 

Literatur:

Christopher Fifield: Max Bruch: Biographie eine Komponisten Zürich 1990

Christopher Fifield: The German Symphony between Beethoven and Brahms - The Fall and Rise of a Genre London 2020

Matthias Schwarzer: Die Oratorien von Max Bruch - Beiträge zur Rheinischen Musikgeschichte 141 Kassel 1988

Wilhelm Lauth: Max Bruchs Instrumentalmusik - Beiträge zur Rheinischen Musikgeschichte 68 Köln 1967

Fabian Kolb (Hrsg.): Max Bruch - Neue Perspektiven auf Leben und Werk Berlin 2016

Dietrich Kämper (Hg.) Max Bruch Studien, Zum 50. Todestag des Komponisten - Beiträge zur Rheinischen Musikgeschichte 87 Köln 1970

Dietrich Kämper Art. Bruch, Max in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, New York, Kassel, Stuttgart 2016ff., veröffentlicht März 2017

Carl Gustav Fellerer: Max Bruchs Messensätze (Festschrift Schmidt-Görg) Bonn 1957

Hermann Kretzschmar: Führer durch den Konzertsaal

- Abteilung I Sinfonie und Suite Leipzig 1921

- Abteilung II Band I Kirchliche Werke Leipzig 1921

- Abteilung II Band II Oratorien und weltliche Chorwerke Leipzig 1920

Hans Engel: Das Instrumentalkonzert Band II (1800 bis zur Gegenwart) Wiesbaden 1974

Ulrich Schreiber: Opernführer für Fortgeschrittene Band 3/1 4. Auflage Kassel 2010

Kammermusikführer Villa Musica Rheinland Pfalz

Max Bruch gehörte insbesondere mit seinen Chorwerken, aber auch den Konzerten und Konzertstücken sowie seinen drei Sinfonien zu den populärsten deutschen Komponisten der Jahre ab 1865 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, um danach – abgesehen vom Violinkonzert Nr. 1 g-moll, allmählich in Vergessenheit zu geraten. Endgültig versenkt im Papierkorb der Konzertveranstalter wurden seine Werke durch die erfundene Behauptung der Nationalsozialisten, Bruch sei Jude, was insoweit überrascht, als gerade Max Bruch in seinen Oratorien der nationalen Idee breiten Raum gab. Ganz allmählich hat sich in den letzten Jahrzehnten zumindest in den Etagen der Tonträgerindustrie die Erkenntnis durchgesetzt, dass viele seiner Kompositionen es durchaus wert sind, einer breiteren Hörerschaft (wieder) vorgestellt zu werden, trotz seiner zunehmenden kompositorischen Erstarrung in den überlieferten Formen und Mustern der Romantik und der immer wieder deutlich geäußerten Kritik an neuen Entwicklungen (Wagner, Liszt als Haupt-Repräsentanten der ´Neudeutschen Schule`, mehr aber noch gegen die ´Jüngeren` wie Strauss, Reger und Pfitzner). Letztlich dürfte der Schlüssel zur Einstellung insbesondere gegenüber Bruchs Oratorien-Œuvre in unserem Verständnis des Lebens im spätromantischen Deutschland liegen, als romanti­sche und klassische Helden als Metaphern für zeitgenössische Ereignisse glorifiziert wurden. Im Gegensatz zu England, wo Vorbilder aus dem Alten Testament herangezogen wurden, um die Leistungen und Erfolge des Landes zu symbolisieren, wandten sich die deutschen Romantiker den germanischen Legenden und mittelalterlichen Erzählungen zu.

 

Max Bruch wurde am 6. Januar 1838 in Köln in eine geistig und künstlerisch hochgebildete Familie hineingeboren. Ersten Musikunterricht erhielt er von seiner Mutter Wilhelmine, geborene Almenräder, die im Rheinland als ausgezeichnete Sängerin bekannt war (ihr Vater war 1812 Mitbegründer der Kölner Musikalischen Gesellschaft), ab 1849 übernahm der Bonner Universitäts-Musikdirektor  Heinrich Carl Breidenstein diese Aufgabe. Schon im Alter von zwölf Jahren konnte Bruch auf ein umfangreiches Verzeichnis eigener Kompositionen verweisen. Mit einem dieser Jugendwerke, einem Streichquartett, errang er 1852 einen Preis der Frankfurter Mozartstiftung. Das damit verbundene Stipendium ermöglichte ihm von 1853 bis 1857 ein Kompositionsstudium bei Ferdinand  Hiller, der kurz zuvor als städtischer Musikdirektor und Leiter des neugegründeten Konservatoriums nach Köln berufen worden war. Mit der Uraufführung seines op. 1, der komischen Oper Scherz, List und Rache (1878 in Köln), endete die Lehrzeit bei Hiller.

Die nun folgenden Studien- und Wanderjahre führten Bruch zunächst nach Leipzig, wo er diverse Komponisten aus dem Mendelssohn-Kreis kennenlernte und sich die Gewandhaus-Konzertmeister Ferdinand David und Friedrich Grützmacher sich seiner Kammermusik annahmen (Klaviertrio op. 5 [1857], op. 9 [1858/59]). Dort entstand auch sein op. 3, Jubilate-Amen für Sopran, Chor und Orchester. In Leipzig knüpfte Bruch Kontakte zu bedeutenden Leipziger Musikverlegern wie Breitkopf & Härtel. Das 1859 begonnene Studium in Geschichte, Literatur und Kunstgeschichte des Rheinlandes an der Universität Bonn, blieb Episode, nach Zwischenstationen in Berlin und Leipzig, verlegte Bruch seinen Wohnsitz, angezogen durch den Hofkapellmeister Vinzenz Lachner, 1862 in die ehemalige kurpfälzischen Residenzstadt Mannheim. Hauptwerke dieser Jahre war die Lachner gewidmete Oper Die Loreley (UA 1863 in Mannheim) sowie die Kantate Frithjof op. 23 (UA: 1864 in Aachen).

Seine erste feste Stellung übernahm Bruch in den Jahren 1865 bis 1867 als Musikdirektor in Koblenz. In diese Zeit fiel die Entstehung des berühmten 1. Violinkonzerts in g-Moll (UA der heute gültigen Fassung: 1868 in Köln, Geiger: Joseph Joachim). Der bis heute anhaltende Erfolg dieser Komposition entwickelte sich für Bruch mit der Zeit eher zu einem Ärgernis, da er nicht ganz zu Unrecht das Gefühl hatte, auf diese Komposition reduziert zu werden, obwohl er selbst die Ansicht vertrat, dass andere Werke dem g-moll-Konzert mindestens ebenbürtig waren. So schrieb er einmal an seinen Verleger:

 „Nichts gleicht der Trägheit, Dummheit, Dumpfheit vieler deutsche Geiger. Alle vierzehn Tage kommt einer und will mir das erste Concert vorspielen: ich bin schon grob geworden und habe zu Ihnen gesagt: ‚Ich kann dieses Concert nicht mehr hören – habe ich vielleicht nur dieses eine Concert geschrieben? Gehen Sie hin und spielen Sie endlich einmal die anderen Concerte, die ebenso, wenn nicht besser sind!‘“

Noch ärgerlicher aber war für Bruch, dass er ausgerechnet diese Komposition gegen ein einmaliges Honorar von 250 Talern verkauft hatte und vom weltweiten Erfolg nicht im Geringsten profitierte.

Schon vor der Uraufführung des ersten Violinkonzerts hatte Bruch 1867 das Angebot der fürstlichen Hofkapellmeisterstelle im thüringischen Sondershausen angenommen. Die wichtigsten Werke der Sonderhausener Jahre sind die Sinfonien 1 Es-Dur und Nr. 2 f-moll. Die freundschaftlichen Beziehungen zu Philipp Spitta, der dort als Gymnasiallehrer wirkte, hatten nicht allein eine Annäherung an Brahms zur Folge, dem Bruch seine 1. Sinfonie widmete, sondern auch die immer stärkere Ausprägung seiner schon zuvor erwähnten ›kulturprotestantischen‹ Grundhaltung.

Schon 1870 zog es Bruch wieder fort von Sonderhausen, sein wachsender Erfolg hatte ihn zu der Überzeugung gebracht, sich als frei schaffender Komponist in Berlin (bis 1873), später Bonn (von 1873-78) und noch einmal Berlin (1878-80) niederzulassen. Das erste Großprojekt der Berliner Zeit, eine Oper nach Shakespeares ´Wintermärchen` mit dem Titel ´Hermione` fand bei der Uraufführung 1872 allerdings nur mässigen Anklang, das kurz darauf vollendete Oratorium ´Odysseus` (UA 1873 in Wuppertal) war hingegen sehr erfolgreich und hatte eine ähnlichen Effekt auf Bruchs Bekanntheitsgrad wie das erste Violinkonzert, wenn auch ohne dessen anhaltende Wirkung bis in unsere Tage.  Ähnliches gilt für ein zweites Oratorium mit dem Titel ´Arminius` (UA: 1875 in Wuppertal), mit dem Bruch nur vier Jahre nach der Reichsgründung offenkundig einen Nerv der Zeit traf. Bei Aufführungen seines ersten Violinkonzerts 1877 in Frankfurt und Wiesbaden lernte Bruch den spanischen Geiger Pablo de Sarasate kennen, für den und besonders auf dessen Fähigkeiten zugeschnitten noch 1877 das Violinkonzert Nr. 2 entstand, das der Geiger Ende 1877 in London zum ersten Mal spielte, während an der Entstehung der Sarasate gewidmeten Schottischen Phantasie op. 46 wiederum Joseph Joachim maßgeblich beteiligt war (UA: 1883 in London mit Bruch am Pult und Sarasate als Geiger). Während einer Konzertreise im Sommer 1880 lernte Bruch Clara Tuczek kennen und lieben; danach ging alles sehr schnell: am 22. August 1880 wurde Verlobung gefeiert, die beiden heirateten am 1. Januar 1881. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor: Margarete (geb. 1882), Max Felix (geb. 1884), Hans (geb. 1887) und Ewald (geb. 1890).

Zur Zeit der Heirat hatte Bruch Berlin bereits wieder verlassen und die Direktion der Liverpooler Royal Philharmonic Society übernommen. Dort entstanden wesentliche Teile einer Komposition für Cello und Orchester mit dem Titel Kol Nidrei op. 47. Generell aber fühlte sich Bruch nicht wohl in England, es gab Querelen mit dem Vorstand und dem Chor, so dass er entschied, nach einer längeren Konzertreise in die USA zwischen März und Juni 1883 (in New York war Ende 1882 seine Sinfonie Nr. 3 E-Dur op. 51 uraufgeführt worden) in der Hoffnung auf eine dauerhaftere Tätigkeit einer Berufung als Generalmusikdirektor nach Breslau zu folgen. Dies gelang mit einer immerhin siebenjährigen Tätigkeit, die aber 1890 wiederum aufgrund ständiger Querelen mit Vorstand und Kollegen (u.a. wegen Bruchs Sympathie mit dem ehemaligen Reichskanzler Otto von Bismarck) von Bruch gekündigt wurde. Er zog mit seiner Familie wieder nach Berlin, wo er wieder intensiv in Kontakt trat zu Joseph Joachim (UA des Violinkonzerts Nr. 3 im Jahr 1891 in Düsseldorf) und Philipp Spitta, nicht zuletzt durch deren Fürsprache er 1891 an die Berliner Akademie der Künste als Leiter einer Meisterklasse für Komposition berufen wurde, die er bis 1911 innehatte. Zu seinen Schülern gehörten Ottorino Resphigi, Ralph Vaughan Williams und die späteren Operetten-Größen Oscar Straus und Eduard Künneke. In den Berliner Jahren entstanden mit Moses op. 67 und Gustav Adolf op. 73 die beiden letzten Oratorien Bruchs, eine Reihe von Chor und Liedwerken, aber auch weitere Werke für Orchester (mit und ohne Soloinstrument). Besonderes Interesse verdienen die Kompositionen mit und für die Klarinette, die Bruch für seinen Sohn Max Felix schuf. Aber schon in diesen Jahren begann das Interesse an seiner Musik nachzulassen trotz der Wiederaufnahme der Loreley durch Hans Pfitzner im Jahr 1916, der trotz zahlreicher nationaler und internationaler Ehrungen eher verbitterte Max Bruch starb am 2. Oktober 1920 ein Jahr nach seiner Frau Clara, kurz nach Inkrafttreten der Weimarer Verfassung.

 

Max Bruch hat sich mit zunehmendem Alter immer deutlicher verbal und in seinem Kompositionsstil gegen alle Neuerungen gestemmt. Sein in vielen Werken stark auf Volkslieder verschiedener Länder zurückgreifender, mitunter monumentaler, manchmal auch sentimental anmutender Stil mit teilweise hörbaren Mendelssohn-Anklängen stand in scharfem Gegensatz zur Neudeutschen Schule und zeichnet sich folgerichtig weniger durch dramatische Dichte als epische Expressivität aus, die bei seinen zeitgenössischen Hörern auf offene und vielfach begeisterte Ohren stiess. Aber Bruch stand stets im Schatten seines übermächtig erscheinenden Freund-Rivalen Johannes Brahms, jedoch wird  Bülows Bemerkung, dass man Bruch ´in allem Technischen als einen reüssierten Hiller betrachten` könne, der ureigenen Qualität seiner Kompositionen nicht gerecht. Neben dem Violinkonzert g-moll gibt es Vielzahl von Werken, deren Niveau eine Begegnung im Konzertsaal wünschenswert sein lässt. Der Gramophone-Autor Andrew Mellow geht in seinem ausführlichen, in Teilen keineswegs unkritischen Porträt des Komponisten im August-Heft des Jahres 2020 so weit, dass er nach dem Zitat der Grabinschrift Bruchs (Musik ist die Sprache Gottes) die Frage stellt, ob sich Bruchs Musik dem Göttlichen annähert. Seine Antwort: Ja und öfter als wir denken.

 

ORCHESTER

Sinfonie Nr. 1 Es-Dur op. 28

Die Arbeiten an seiner ersten Sinfonie hatte Bruch bereits in Koblenz begonnen, jedoch erst 1868 während seiner Tätigkeit als fürstlicher Hofkapellmeister in Sondershausen beendet. Dort wurde das Johannes Brahms gewidmete Werk am 26. Juli 1868 einschließlich eines Intermezzos, das der Komponist später wieder strich, unter Bruchs Stabführung uraufgeführt. Weitere Aufführungen ebenfalls unter Leitung des Komponisten fanden 1868 in Leipzig und 1869 in Köln und Krefeld statt. Die endgültige, viersätzige Fassung erklang erst am 6. Juni 1869 in Sondershausen.

Satz 1: Allegro maestoso

Der Satz beginnt mit einer kurzen langsamen Einleitung wie aus dem Nichts, nach vier Takten erscheint ein lyrisches Thema, vorgestellt von Horn und Fagott, nach und nach gesellt sich in einem Crescendo das ganze Orchester dazu. Noch einmal erscheint das Thema 1 im Horn, dann setzt in der Klarinette das Thema 2 ein, lyrisch und weich wie Thema 1, ein Themenkontrast ist also nicht wirklich vorhanden. Übergangslos (also ohne Schlußgruppe) beginnen die Expositionswiederholung und ebenso auch die Durchführung, die zunächst den rein lyrischen Charakter behält, sich dann aber zu schon fast wuchtigen Klängen aufschwingt.  Auffällig sind die fast wie bewusst verborgenen Übergänge zu Durchführung und Reprise, die von der klassischen Struktur wegdeuten in eine eher romantische Richtung.  Zeitgenössische Kritiker hatten am lyrischen Thema übrigens dessen ´Langatmigkeit` auszusetzen, während Hermann Kretzschmar diesen Satz für den wichtigsten der Symphonie hält: ´künstlerisch bedeutendster und reichster Satz`!

Satz 2: Scherzo: Presto

Dieser Satz ist eher ´im zarten, schwebenden poetischen Gehalt, als in konkreten motivisch-thematischen Beziehungen` (Krämer) von Mendelssohns Sommernachtstraum inspiriert. Dreiteilig angelegt beginnt er mit einem Staccato-Motiv, das nach dem Trio in Form eines fast unschuldigen, volkstümlichen Reigens im pianissimo wiederholt wird (ganz Mendelssohn); noch einmal wird grandios der Reigen eingeflochten, der Kehraus aber gehört dem Scherzo Thema, das aber nicht wortwörtlich, sondern leicht abweichend auskomponiert erscheint. Dieser Satz war bei den Zeitgenossen Bruchs sehr beliebt, er musste sogar des öfteren wiederholt werden.

Satz 3a: Quasi Fantasia: Grave

Ein sehr kurzer Satz, der eher den Eindruck einer langsamen Einleitung zum Schlusssatz als den eines eigenständigen Satzes vermittelt. Thematisch eher düster im Vergleich zum Scherzo und nicht ohne Ähnlichkeit zum ersten Thema des Kopfsatzes, das zudem knapp zur Hälfte des Satzes kurz in den Bratschen auftaucht. Die Klangbögen führen in ein Orchestertutti, ehe – wie schon zuvor – quasi alle Instrumente noch einmal angesprochen werden und der Satz mit einem pianissimo-Paukenwirbel in den Schlusssatz übergeht..   

Satz 3b: Allegro guerriero

Diese ungewöhnliche Satzbezeichnung stammt ursprünglich von Mendelssohn aus seiner Schottischen Sinfonie, wurde von Bruch bereits in seinen Zwölf Schottischen Volksliedern aufgegriffen und taucht noch einmal auf in seiner Schottischen Phantasie. Der Satz beginnt eher piano mit einem betont rhythmischen Thema, das schließlich vom ganzen Orchester übernommen wird und vor dem Übergang ins Thema 2 deutlich auf die Steigerung des Eröffnungssatzes verweist. Thema 2 erklingt in Horn und Klarinette molto espressivo e cantabile. In der Durchführung werden die beiden Themen immer wieder gegeneinandergestellt, jedoch kaum intensiv verarbeitet, in der Reprise wird die Reihenfolge der Themen vertauscht.

  

Sinfonie Nr. 2 f-moll op. 36

Bruch begann 1868 mit ersten Entwürfen für seine zweite Sinfonie, die er zwischen Januar und April 1870 fertigstellte. Die erfolgreiche Uraufführung fand am 4. September 1870 in Sondershausen statt, eine weitere Aufführung am 24. November im Leipziger Gewandhaus unter der Leitung des Komponisten aber war ein totaler Misserfolg, der Bruch zu der Aussage veranlasste, das Werk sei ´unter Zischen zu Grabe getragen worden.` Nicht zuletzt aus diesem Grund verlegte Bruch seine kompositorischen Aktivitäten sehr stark auf das weltliche Oratorium, seine dritte Sinfonie entstand erst 12 Jahre später. Auffällig an der f-moll -Sinfonie ist das Fehlen eines Scherzos, für Bruch ´passte es nicht in die Anlage dieser Sinfonie`, in der die drei verbleibenden Sätze in der Sonatenform stehen.  

Satz 1: Allegro appassionato, ma un poco maestoso

Wie in der ersten Sinfonie beginnt Bruch mit einer viertaktigen Einleitung, diesmal auf einem einzigen Ton, dem tiefen F, dann erscheint Thema 1, vorgetragen von den Streichern mit Unterstützung der Hörner bis hin zu einem Tutti-Ausbruch. Es folgt eine variierte Wiederholung, dann aber erscheinen nacheinander diverse Motive einschließlich eines sehnend-entrückten (Kolb) Seitensatzes, die im weiteren Verlauf des Satzes zu einer ´denkbar breiten und vielschichtigen Auslotung verschiedenster Schattierungen` und Stimmungen führt, die von verklärten bis hin zu fast kriegerisch klingenden Momenten reicht.     

Satz 2: Adagio ma non troppo

Wie oft bei Bruch steigt das wehmütig klingende Thema 1 aus dem pianissimo auf, eine Grundstimmung, die den ganzen Satz durchziehen wird, ein klopfender Rhythmus (aus der Ferne winkt Beethoven) dient als Überleitungsmotiv zum Thema 2. In der Durchführung werden diese drei Elemente frei ineinander verwoben und variiert, die wehmütig-lyrische Stimmung bleibt von wenigen Tutti-Momenten durchgehend erhalten auch in der um Teile des Thema 2 verkürzten Reprise und der Coda, die umgekehrt zum Satzbeginn decrescendierend und endlich morendo schliesst, aber über einem piano gehaltenen C attacca in den letzten Satz überleitet.  

Satz 3: Allegro molto tranquillo

Thema 1 wird langsam entwickelt, dann stellen die Violinen es vor. Auf die viel diskutierte Analogie zum Schlusssatz von Brahms` erster Sinfonie und dem damit verbundenen Bezug insbesondere zu Beethoven`s 9. mag hier der Hinweis auf Falke S. 70ff genügen. Ein ausgedehnter Übergang führt in Thema 2, das in eine fanfarenartige Passage analog Satz 1 mündet. Insgesamt aber erfüllt dieser Satz Bruchs Anspruch eines milden und versöhnlichen Finales, von dem lediglich am Ende der Reprise und der Coda abgewichen wird, zumindest bezüglich des milden Anspruchs.

Die vielfältigen motivischen Verknüpfungen der einzelnen Sätze geben Bruchs zweiter Sinfonie fraglos einen hohen Stellenwert in der Geschichte der Sinfonie, ihre bis heute anhaltende Vernachlässigung könnte aus meiner Sicht mit der z.T. geringen Prägnanz der Motive und Themen zu tun haben.

 

Sinfonie Nr. 3 E-Dur op. 51

Erst 12 Jahre nach seiner 2. vollendete Bruch als Auftragsarbeit der New Yorker Symphony-Society seine dritte Sinfonie, für die er aber auf Skizzen aus dem Jahr 1870 zurückgreifen konnte. Dieses Werk sollte ursprünglich den Titel ´Am Rhein` tragen und wurde am 17. Dezember 1882 in New York uraufgeführt. Es folgten einige weitere Aufführungen, ehe Bruch das Werk in den Jahren 1884-6 einer Umarbeitung unterzog. Diese – endgültige – Fassung wurde zum ersten Mal am 26. Oktober 1886 in Breslau unter Bruchs Leitung gespielt, es folgten Aufführungen in Leipzig, Berlin, Hamburg und Bremen, die beiden letzten mit Hans von Bülow am Pult.

Satz 1:  Andante sostenuto – Allegro molto vivace – Adagio

Im Gegensatz zu den beiden ersten Sinfonien beginnt op. 51 mit einer ausgedehnten langsamen Einleitung, bei der mit einem E-Dur-Akkord zu Beginn, der bald darauf wie zur Bestätigung noch einmal in der Dominante erklingt, eine eher heitere Stimmung aufscheint. Ein erster thematischer Komplex wird dann vom Horn angestimmt und leitet zum Thema 1 über, das aber nicht sofort erscheint, sondern erst nach Crescendo-Sechszehntelläufen der Violine beginnt, die im weiteren Verlauf des Satzes eine gewichtige Rolle spielen. Thema 2 entpuppt sich als Übernahme und Fortspinnung des Hornmotivs – transponiert nach D-Dur - aus der langsamen Einleitung. In der Durchführung werden beide Themen nacheinander angesprochen, die Reprise beginnt in den Tutti mit Thema 1, auf das überraschend ein Oboenmotiv folgt, ehe Thema 2 erscheint. Die Coda verarbeitet noch einmal alle Motive bis hin zu einem schwungvoll-stürmischen Schluß.

Satz 2: Adagio. Adagio ma non troppo

Ein ´variierter` Variationssatz, der das aus dem Hornmotiv des ersten Satzes abgeleitete Thema vorstellt, dreimal leicht verändert wiederholt und endlich in Fortissimo-Klänge steigert, ehe eine Art Coda in den Beginn des Satzes zurückführt und morendo endet. Für Falke ist dieser Satz ´einer (der) ausdrucksstärksten Sätze Bruchs` (S. 100). Ich kann dem nur aus vollem Herzen zustimmen.

Satz 3: Scherzo – Vivace

Formal ein Rondo, in dem das Thema 1 jeweils zunächst ausschließlich von den Celli, Bässen und dem Fagott vorgestellt, in der Fortsetzung aber vom gesamten Orchester übernommen wird mit dem Unterschied, dass der ersten Wiederholung des Tutti-Teils eine ausgedehnte durchführungsartig scheinende Passage angefügt ist. Das Trio-Motiv, abfallend kantabel in den Violinen, erscheint noch einmal als Übergang zu einer von der Einleitung bestimmten Coda.

Satz 4: Finale. Allegro ma non troppo

Drei Themen, Motive werden vorgestellt, sie erscheinen in lockerem Wechsel über den ganzen Satz – dem kürzesten der Sinfonie – hinweg, das ganze wirkt wie ein klassischer Kehraus-Satz, dem insgesamt fröhlich-heiteren Unterton der Sinfonie durchaus angemessen.

 

Schwedische Tänze op. 63

Dieses Werk entstand 1892 zunächst für die Besetzung Violine und Klavier, aber noch im selben Jahr erstellte Bruch auch eine Orchesterfassung, womit er sich eine ähnliche Wirkung erhoffte wie sie Brahms mit seinen Ungarischen Tänzen und Dvorak mit den Slawischen Tänzen erreicht hatten. Das Material für diese Komposition entnahm Bruch wahrscheinlich der schwedischen Volksliedsammlung ´ Svenska folkvisor`. Die 15 Tänze, von denen der erste am Ende wiederholt wird – dadurch entsteht der Eindruck der zyklischen Geschlossenheit -, beginnen mit  einer Art ´Ansage`, mit einer konzisen, langsamen Fanfare, in der sich bereits der erste Tanz wiederspiegelt. Die einzelnen Tänze sind kurz und schlicht gehalten, sehr melodiös, aber es fehlt ihnen das schwungvoll-zündende, das die beiden Zyklus-Vorgänger in weiten Teilen auszeichnet. Dennoch ist es bedauerlich, dass sie im Konzertbetrieb keine Alternative zu Brahms und Dvorak sind.

 

Suite nach russischen Volksmelodien op. 79b

Die Suite entstand durch Orchestrierung und Umarbeitung von Teilen der ´Lieder und Tänze für Violine und Klavier op. 79` im Sommer 1903 und wurde im November desselben Jahres in Barmen uraufgeführt. Das Werk besteht aus fünf Teilen, wobei die drei letzten drei Teilstücke direkt ineinander übergehen.


KONZERT

Violinkonzert Nr. 1 g-moll op. 28

Eine erste Fassung des Stücks entstand 1866, aber auf Anraten Hermann Levis überarbeitete Bruch seine Komposition noch einmal mit Hilfe des Geigers Joseph Joachim insbesondere in den Ecksätzen; diese endgültige Fassung wurde am 5. Januar 1868 mit Joachim als Solist in Bremen uraufgeführt, der das Werk im selben Jahr noch einmal beim Niederrheinischen Musikfest spielte. Von dort trat es seinen weltweiten Siegeszug an, der sich in der schier unübersehbaren Zahl von Einspielungen nahezu aller bedeutenden Geiger der vergangenen 100 Jahre wiederspiegelt.

Nicht untypisch für Bruch ist die Komposition formal alles andere als klassisch angelegt und diese eher unkonventionelle Anlage beginnt sogleich mit Satz 1

Satz 1: Introduktion, Allegro moderato

Dieser von Bruch als Vorspiel bezeichnete Eröffnungssatz beginnt mit einem Paukenwirbel im pianissimo (der Rhythmus erscheint im Verlaufe des Satzes immer wieder als Grundierung bzw. Übergang), auf den die Holzbläser folgen und das Thema 1 im Ansatz vorstellen, darauf setzt die Violine ein mit einer kadenzartigen Passage ein (Beispiel Einleitung); leicht variiert wiederholt Bruch diese Einleitung, dann – nach einem Tutti des Orchesters – erscheint das Thema 1 in der Solovioline. Es ist wieder das Orchester, unterlegt vom bekannten Rhythmus, das Thema 2 einläutet für die Violine, lyrischer als Thema 1, aber die Verwandtschaft ist erkennbar. Beide werden kaum verarbeitet, das Ganze ist eher rhapsodisch angelegt. Schließlich, nach einer längeren Orchesterpassage, schliesst sich der Kreis mit der Rückkehr des Beginns und ganz allmählich versinkt der Bogen in den attacca-Übergang zum 2. Satz  

Satz 2: Adagio

Das Thema 1 erklingt unmittelbar zu Beginn des Satzes, der zu den schönsten Bruchs, wenn nicht der gesamten Violinliteratur zählt. Auch Thema 2 stellt die Solovioline gleich im Anschluss vor, ebenso lyrisch wie fraglos verwandt, dessen Kopf Richard Strauss in seiner Alpensinfonie zitiert. Im Orchester, umspielt von der Violine, erklingt dann noch ein drittes Motiv. Auch hier gibt nicht wirklich eine Verarbeitung, die Themen, Motive gehen fliessend ineinander über, fast immer im piano. Dann aber doch eine große Steigerung im Orchester, ehe der Satz zurückfällt in seine leise Stimmung und wie Satz 1 den Bogen zum Satzbeginn schlägt.

Satz 3: Allegro energico

Das Hauptthema des dritten Satzes entwickelt sich langsam im Orchester, wird dann aber ausführlich im Wechselspiel mit dem Orchester vorgestellt. Die Ähnlichkeit mit dem Schlussatz des Brahmschen Konzertes ist unüberhörbar, der Grund dürfte Joseph Joachim sein, der auch am Konzert des Wahl-Wieners mitgearbeitet hat. Eine Übergangspassage führt ins feierliche Thema 2, auch hier vom Orchester eingeführt und der Violine übernommen. In einem zweiten Teil werden beide Themen wiederholt (von Durchführung zu sprechen, wäre übertrieben), dann im Zusammenspiel mit einer harmonischen Rückung (Es bei Haupttonart G) beginnt der Schlußteil, der zu einem strettaartigen Ende führt.

Die Ausschnitte sind der Einspielung aus dem Jahr 1995 mit Kyung Wha Chung entnommen (Dirigent: Werner Andreas Albert, Orchester: NDR Radiophilharmonie).

 

Violinkonzert Nr. 2 d-moll op. 44

Erst zehn Jahre nach dem ersten verfasste Bruch im Laufe des Jahres 1877 sein zweites Violinkonzert, das er für den spanischen Geiger Pablo de Sarasate schrieb, der auch die Uraufführung unter Bruchs Leitung am 4. November 1877 im Londoner Crystal Palace spielte. War schon das erste Konzert formal eher gewagt, so weicht Konzert Nr. 2 fast vollständig von der damaligen Formkonvention ab: es beginnt mit einem Adagio in Sonatenform, es folgt ein als Rezitativ bezeichneter Abschnitt und endet mit einem Allegro molto, ebenfalls in Sonatenhauptsatzform. Insbesondere über den ersten Satz hat sich Brahms in einem Brief an seinen Verleger Simrock wenig freundlich mokiert: ´Das ist für normale Menschen nicht auszuhalten, hoffentlich ist kein Reichsgesetz nötig, um zu verhindern, daß öfter ein erster Satz Adagio geschrieben wird.`

Satz 1: Adagio ma non troppo

Nach einem Orchestercrescendo stellt die Violine das Thema 1 vor, das wehmütig warum zu fragen scheint und variiert und auch kadenzartig fortgeführt wird hinein in Thema 2, ein vom Orchester angestimmter Trauermarsch. Es ist nicht endgültig bewiesen, aber durchaus möglich, dass Bruch in diesem Satz auf Anregung Sarasates das Szenario eines mit Toten übersäten Schlachtfelds der kastilischen Carlistenkriege gezeichnet hat, auf dem eine junge Frau die Leiche ihres Geliebten sucht, während ein Begräbniszug vorüberzieht. Formal handelt es sich bei diesem Adagio um einen Sonatenhauptsatz, dessen Coda unendlich traurig im pianissimo versinkt.

Satz 2: Rezitativ – Allegro moderato

Der Satz beginnt im Orchester mit einem einfachen, rhythmisch geprägten Motiv, dann übernimmt der Solist in einer Art Selbstgespräch, zu Beginn zweimal mit einer aufsteigenden Quint, die stark an den Beginn von Sentas Ballade aus Wagner Fliegenden Holländer erinnert. Die Reflexionen der Violine, die formal dem Spohrschen Violinkonzert in Form einer Gesangsszene ähneln, werden dreimal vom Orchester unterbrochen, beim letzten Mal eher dezent und über ein abfallendes Hornmotiv geht es ohne Pause in den letzten Satz.

Satz 3: Allegro molto

Bevor das geforderte Tempo erreicht wird, wird noch einmal die aufsteigende Quint zitiert, ehe nach der Adagio-Einleitung das Hauptthema einsetzt, auf das nach einer kurzen Überleitung das weichere Thema 2 folgt. Die Themen werden regelmässig in Durchführung und Reprise wiederholt, die Coda basiert ausschließlich auf Thema 1. Gar nichts kann ich mit Fifields Aussage anfangen, dass dieser Satz ein Kavallerie-Regiment im Schlachtgetümmel  schildert. Er ist eher der typische bewegte Kehraus-Satz, der der ansonsten innovativen Anlage des Konzerts nicht ganz angemessen scheint.

 

Violinkonzert Nr. 3 d-moll op. 58

Das Werk entstand zwischen Sommer 1890 und Februar 1891 zunächst lediglich als einzeln stehendes Konzert-Allegro, aber der Geiger Joseph Joachim ermunterte Bruch, das Stück zu einem kompletten Konzert zu erweitern. Die Uraufführung dieses formal ganz im klassischen Stil gehaltenen Werks, das mit ca. 40 Minuten Dauer nicht nur für Bruch ungewöhnlich ausgedehnt ist, fand am 31. Mai in Düsseldorf statt, der Geiger war Joseph Joachim, am Pult stand Bruch.

Satz 1: Allegro energico

Der Satz beginnt in den Tutti mit dem ersten kräftigen rhythmischen, fast kantigen Motiv, nach einer kurzen Überleitung stellt das Horn das lyrische Thema 2 vor, das Bruch bei sich selbst entliehen hat, es erscheint fast wörtlich im Adagio appassionato op. 57. Die Violine setzt virtuos ein, dann wiederholt sie beide Themen. Anschließend geht es direkt in die Durchführung mit einem lyrischen Beginn, den die Violine verspielt und virtuos fortsetzt mit einer Ableitung aus dem 2. Thema, ehe ein kraftvoller Tutti-Block übernimmt. Noch einmal beruhigt sich das Geschehen, ehe Thema 1 heroisch im Orchester aufleuchtet. Beide Themen werden gleichberechtigt behandelt und verarbeitet, es findet ein steter thematischer Wechsel statt bis zur Coda, in der Thema 1 allein den Satz beschließt.

Satz 2: Adagio

Der Solist deutet das Thema des Satzes leise an, das Orchester stellt es dann komplett vor, wird vom Solisten abgelöst, der das Thema dann im weiteren Gang des Satzes mit Hilfe von Variationen und Figurationen vielfach ausgeschmückt, begleitet von einem sehr zurückhaltenden Orchester.

Satz 3: Finale – Allegro molto

Der Refrain dieses Rondo-Finales wird von der Violine angedeutet, dann vorgestellt und schliesslich vom Orchester aufgegriffen. Das erste Trio ist zweiteilig, zunächst ein einfaches  lyrisches Thema, dann eher ein verspielter Passus. Der Refrain kehrt zunächst fast unverändert zurück, wird dann abgewandelt und von der Violine übernommen, bevor das Orchester fast so etwas wie eine Durchführung anstimmt, die übergeht in das erneute Trio. Wieder erklingen beide Teile. Klassisch korrekt beschliesst der Refrain den Satz.

 

Konzert für Klarinette, Viola und Orchester op. 88

Enes der Spätwerke Bruchs aus dem Jahr 1911, nicht zuletzt verfasst mit Blick auf seinen Sohn Max Felix, der das Stück zusammen mit dem Streicher Willy Hess am 5. März 1912 in Wilhelmshaven zum ersten Mal spielte. Nach einigen Revisionen fand eine zweite ´Uraufführung` am 3. Dezember 1913 in der Berliner Hochschule für Musik statt, mit Max Felix als Klarinettist, die Viola spielte Werner Schuch.

Satz 1 – Andante con moto

Mit einem überraschenderweise langsamen Satz und einer kurzen Kadenz für beide Solisten beginnt das Konzert, dann stellt die Klarinette ein lyrisches Thema vor, das die Viola übernimmt und das – nach der Andeutung eines zweiten Themas - später im Orchester erklingt. Daraus entsteht ein rhapsodischer Dialog zwischen beiden Solisten, vom Orchester filigran begleitet.

Satz 2 – Allegro moderato

Ein serenadenhaftes Intermezzo, dessen Anfangsthema aus dem zweiten Thema des ersten Satzes abgeleitet ist, gefolgt von einem lebendigen Mittelteil, der sehr an Bruchs Helden Mendelssohn denken lässt.

Satz 3 – Allegro molto

Nach den beiden eher lyrischen Sätzen kommt die Einleitungsfanfare zu Satz 3 einigermaßen überraschend, leitet aber einen quirligen Satz in angedeuteter Sonatenform ein, der beiden Solisten einiges an Virtuosität abverlangt.

Die Allgemeine Musikzeitung (Nr. 40 - 1913) bezeichnete das Werk als ´harmlos, weich, unaufregend … es wirkt unoriginell, zu vornehm in der Zurückhaltung ..`, eine Beurteilung ranicht wirklich verwunderlich angesichts der fast gleichzeitigen Uraufführung von Stravinskys ´Le Sacre du Printemps` (29. Mai 1913). Max Bruch blieb auch in seinen späten Kompositionen seinem an melodischer Schönheit orientierten Credo treu, ungewöhnlich ist lediglich über die drei Sätze fortschreitend gesteigerte Orchesterbesetzung von 14 auf 23 Begleitinstrumente.

 

Konzert für 2 Klaviere as-moll op. 88a

Bei dem Konzert handelt es sich um eine Umarbeitung einer Suite für Orgel und Orchester, die zwischen 1904 und 1909 entstand, aber nicht veröffentlicht wurde. Diese Umarbeitung nahm der Komponist vor, nachdem ihn die beiden Schwester-Pianistinnen Ottilie und Rose Sutro, die er während ihrer Berliner Studienzeit kennengelernt hatte, im Jahr 1915 um ein Konzert baten. In Verbindung mit der Umarbeitung nahm Bruch den Schwestern das Versprechen ab, dieses Werk lediglich in Amerika aufzuführen. Dem entsprachen die Schwestern mit einer ersten Aufführung in Philadelphia unter dem Dirigenten Leopold Stokowski und einer Wiederholung ein knappes Jahr später in New York, aber andererseits arbeiteten sie das Konzert eigenmächtig vereinfachend um. Erst nach ihrem Ableben konnten die Pianisten Nathan Twining und Martin Berkovsky aus dem Nachlass der Schwestern die Originalfassung wiederherstellen.

Satz 1 -  Andante sostenuto

Die Klaviere eröffnen mit fanrarenartigen Klängen in der Grundtonart, gefolgt von einer für Bruch ungewöhnlich intensiven, dramatischen Tutti-Passage. Die Klaviere setzen wieder ein in einem zarten Fugato, dessen Thema Bruch während einer Karfreitags-Prozession auf Capri 1904 gehört und notiert hatte. In dieses Lamento fahren immer wieder die wuchtigen Schläge hinein, ehe der Satz pianissimo und versöhnlich verklingt.

Satz 2 - Andante con moto – Allegro molto vivace

Eine langsame Einleitung für Bratschen und Celli, unterstützt von Oboe und den Klavieren geht über in einen von Triolen beherrschten Galopp (Thema 1) gefolgt von einem ruhigen Thema 2. Aus diesen beiden Themen entwickelt sich ein konventioneller Sonatensatz, dessen konzise Reprise den Satz zu einem abrupten Schluß bringt.

Satz 3 - Adagio ma non troppo
In dreiteiliger Liedform gestaltet, beginnt der Satz ruhig, steigert sich aber allmählich zu einem sanglich-melodiösen Höhepunkt. Die Melodie wird fast nach Art eines Lieds ohne Worte fortentwickelt, ein zweites Mal leidenschaftlich gesteigert, ehe der Satz zurück ins piano sinkt.

Satz 4 - Andante - Allegro

Zunächst erklingen noch einmal die Fanfaren des ersten Satzes, allmählich von Moll nach Dur gewandelt, während im Allegroteil, basierend auf einer Variation des Fugatothemas aus Satz 1, eine gelöste, zeitweise fast hymnische Stimmung verbreitet wird, die zudem den Solisten ausreichend Gelegenheit zur Darbietung virtuoser Brillianz bietet. 

Eingedenk der Bruchschen Einschätzung des Pianos als ´unmelodisches Tastending` oder ´öder Klapperkasten` verwundert die Qualität des Opus 88a und Bruchs Anweisung, das Werk nicht in Europa aufzuführen, kann man nur bedauern. Glücklicherweise gilt dies heute nicht mehr, was sich leider noch nicht in den Konzertplänen widerspiegelt. Aber immerhin existieren inzwischen diverse CD-Veröffentlichungen, die einen guten Einblick in das Werk bieten, das – auch wenn es nicht zu den wichtigsten Stücken Bruchs zählt – einen guten Platz in der Konzertliteratur für 2 Klaviere verdient hat.

 

Romanze für Violine und Orchester op. 42

Anfang 1874 plante Bruch ein zweites Violinkonzert, den ersten Satz beendete er bereits im Februar, es gab bereits Ideen für einen zweiten und dritten Satz, aber eine unglückliche Liebesgeschichte belastete ihn so sehr, dass er dem Rat guter Freunde folgte, den ihn auch persönlich sehr zufriedenstellenden Satz als einsätzige Romanze zu veröffentlichen. Interessant, dass es offenkundig Bruchs Absicht gewesen war, das geplante Konzert mit einem langsamen Satz zu beginnen. Nach der Bläsereinleitung gefolgt von einem Hornruf setzt die Violine piano mit dem Thema 1 ein, schliesslich führt eine Orchesterbrücke in den Bereich des Thema 2 ein, das zunächst im Orchester erklingt (die Terzfolgen haben einen leicht süßlichen Charakter) und nur langsam von der Violine übernommen wird. Beide Themen werden wiederholt, beide harmonisch verändert und wieder über eine orchestrale Brücke verbunden.

 

Schottische Phantasie op. 46

Die ´Fantasie für die Violine mit Orchester und Harfe unter freier Benutzung schottischer Volksmelodien`, so der vollständige Titel des im Winter 1869/70 entstandenen Werks, soll durch Bruchs Lektüre von Sir Walter Scott angeregt sein, insbesondere dessen Gedicht ´The Lady of the Lake`. Es ist dem spanischen Geiger Pablo de Sarasate gewidmet und wurde am 22. Februar 1881 in Liverpool uraufgeführt.

Das Werk ist vierteilig mit einer Grave-Einleitung, auf die ein Adagio cantabile folgt, das das Lied ´Thrugh the Wood Laddie` und nicht – wie häufig angeführt - ´Auld Rob Morris` zitiert. Es folgt ein scherzoartiges Allegro, basierend auf der Weise ´The Dusty Miller` und zugleich mithilfe eines Bordunbasses die Klänge eines Dudelsacks nachahmend. Am Ende dieses Teils zitiert Bruch im Übergang noch einmal das vorhergehende Adagio. Teil 3 Andante sostenuto könnte an manchen Stellen als Titelmelodie eines Edelwesterns herhalten, die eingängige Lyrik ist abgeleitet aus dem Lied ´I`m  A`Doun for Lack O` Johnnie`. Der Schlussteil Allegro guerriero analog Mendelssohns Schottischer Sinfonie und Bruchs eigener 1. Sinfonie ist wirklich von kriegerischem Geist erfüllt (Fifield). Dieser Teil, in dem das Adagio des Beginns ebenfalls noch einmal kurz vor dem Ende des Stücks zitiert wird, verarbeitet die Melodie der inoffiziellen schottischen Nationalhymne ´Scots Wha Hae` von Robert Burns um die Ereignisse der Schlacht von Bannockburn des Jahres 1314.

 

Adagio appassionato für Violine und Orchester op. 57

Entstanden in Nachbarschaft mit dem dritten Violinkonzert im Jahre 1990 ist dieser Einzelsatz Joseph Joachim gewidmet. Das gut 10minütige Stück beginnt im Orchester-Pianissimo, von der Violine mit Klagerufen beantwortet, aus dem sich ein trauermarschartiges Thema 1 herausentwickelt, zunächst im Orchester, dann übernommen von der Violine. In der gleichen Reihenfolge erscheint Thema 2 mit seinem tröstenden Charakter. In der folgenden Durchführung erscheinen ausschliesslich die einleitenden Klagerufe der Violine und das Thema 1, während die Reprise ausschliesslich von den tröstenden Tönen des Thema 2 beherrscht wird. Damit erhält dieses Thema die Rolle des finalen Trostes nach der Trauer (Einleitung und Exposition), der Trauerbewältigung (Durchführung).

 

In Memoriam op. 63

Zu Beginn der 1890er Jahre entstanden bleibt es Bruchs Geheimnis, welcher Persönlichkeit die komponierte Erinnerung gewidmet ist. Spekulationen, es könne die Trauer des Jahres 1888 – das sog. Drei-Kaiser-Jahr – wiederspiegeln, hat der Komponist klar zurückgewiesen. Das knapp fünfzehn Minuten lange Stück – Grundtonart cis-moll) gehört zu den ergreifendsten und innigsten Kompositionen Bruchs (er selbst hielt es für sein bestes Werk). Aus einer zarten Orchestereinleitung schält sich fast unmerklich die Solovioline heraus und stimmt im Wechsel mit dem Orchester das Thema 1 an. Ein zweites harscheres Thema spielt nur eine untergeordnete Rolle. In der Durchführung des Sonatensatzes erklingt zu Beginn ein bezauberndes Wechselspiel zwischen Violine und Horn-Triolen, Thema 2 übernimmt auch hier bis die Horntriolen zurückleiten in die rein lyrische Stimmung des Beginns, die für den Rest des Stücks vorherrschend bleibt.

 

Serenade für Violine und Orchester op. 75

Das Werk entstand im Sommer 1899, wurde am 15. Mai 1901 in Paris mit dem Geiger Joseph Débroux sowie dem Orchestre Lamoureux unter der Leitung von Camille Chevillard uraufgeführt und verschwand nach weiteren Aufführungen in Köln und Berlin und 1903 in Boston fast sofort wieder von den Konzertpodien. Zum einen fiel wie so oft der Vergleich mit dem g-moll Konzert, aber auch der Schottischen Phantasie zu Ungunsten Bruchs aus, zum anderen aber erschien es Beobachtern schlicht aus der Zeit gefallen.

Das Stück weist vier Sätze auf: die beiden, thematisch auf einer adaptierten nordischen Melodie basierenden Ecksätze umrahmen ein dreiteiliges marschartiges Allegro moderato und ein Notturno, das deutlich Bruchs Nähe zur Vokalmusik zeigt, aber dem insgesamt trotz durchaus beeindruckender Passagen die melodische Durchschlagskraft fehlt.

 

Romanze für Viola und Orchester F-Dur op. 85

Am Ende seines Lebens, die Romanze entstand um 1910, erwies sich Bruch noch einmal als grosser Melodiker. Die Viola bewegt sich zumeist in der mittleren Tonlage des Instrument, die Begleitung ist sehr dezent gehalten mit einem im Umfang reduzierten Orchester. In einer kurz gefassten Sonatensatzform ergänzen sich zwei lyrische Themen zu einem stimmigen Ganzen. Als Konservatoriumsstück soll diese Romanze sehr beliebt sein, im Konzertsaal hört man sie (leider) so gut wie nie.  

 

Kol Nidrei op. 47

Das Werk entstand 1880 auf Bitten des Cellisten Robert Hausmann, der es Ende desselben Jahres in Berlin zum ersten Mal öffentlich aufführte. Bruch war unzufrieden mit der Aufführung, zeigte über deren scheinbar sehr langsames Tempo sehr erbost und sprach in einem Brief an seinen Verleger Simrock davon, dass das Werk ´künstlich vom Leben zum Tode` gebracht worden sei. Keine Frage: Kol Nidrei ist durch allzu langsame Tempi immanent der Gefahr allzu grosser Sentimentalität ausgesetzt, aber Bruch hat durch seine Tempoanweisung Adagio ma non troppo durchaus deutlich zu machen versucht, wie das Stück lebendig klingen kann. Es ist in zwei Teile geteilt: zunächst erklingt der uralte hebräische Bußgesang Kol Nidre, der traditionell am Vorabend des Yom Kippur angestimmt wird, bei Bruch wird jeder Teil durch Achtelpausen getrennt und gewinnt dadurch zusätzliche Emotionalität. Der zweite Teil basiert auf einer Melodie zu Byron`s Gedicht ´O weep for those on Babel`s stream`.

 

Canzone für Cello und Orchester op. 55

Vollendet 1890 während eines Ferienaufenthalts in Bergisch-Gladbach, besteht die Canzone in ihrem dreiteiligen Aufbau aus zwei Themenkreisen, beide – im Gegensatz zum zur gleichen Zeit entstandenen Adagio op. 56 – eigene Erfindungen des Komponisten, die, eine immer wiederkehrende Eigenart Bruchs, in Terzverwandschaft zueinander stehen, in diesem Fall B-Dur, D-Dur, B-Dur). Nach einer Horneröffnung erklingt das lyrische Thema im Cello, wird in mehreren Stufen dynamisch gesteigert bis hin zum Mittelsatz, der fast so etwas wie hymnischen Charakter besitzt. Über ein modulierendes Pianissimo setzt im Orchester forte das Thema wieder ein und sinkt allmählich zurück ins finale Piano. 

 

Adagio nach keltischen Melodien für Cello und Orchester op. 56

Auch dieses Adagio – diesmal für Cello und Orchester – entstand 1890 in Nachbarschaft zum dritten Violinkonzert. Die Melodien waren Bruch seit längerem bekannt, eine schottisch, eine irisch, weshalb er dem Stück den Beinamen ´keltisch` gab. Dabei war Bruch wohlbekannt, dass die Schotten keine Kelten sind. Das Stück ist ähnlich aufgebaut wie das benachbarte op. 57, auch hier steht am Beginn eine Melodie der Trauer, die von einem tröstenden lyrischen Teil abgelöst wird. Teil 1 taucht noch einmal kurz auf, aber der Trost siegt auch hier.

 

Ave Maria – Konzertstück für Cello und Orchester op. 61

Bruchs ´Ave Maria` basiert auf der Gebetsszene aus seiner Kantate ´Das Feuerkreuz` nach Sir Walter Scotts Erzählung ´The Lady of the Lake`, ursprünglich gesetzt für Sopran und Orchester. Wie im Original ist das Stück dreiteilig, eingeteilt in eine Moll-Kantilene des Cellos, die abgelöst wird durch eine Cello-Kadenz (im Original ein Rezitativ für den Sopran) mit ganz leichter Orchesterbegleitung. Diese Kadenz schwingt sich auf zu einem Orchester-Fortissimo, ehe die Wiederholung des ersten Teils, diesmal in Dur, das Stück zum Ende führt.

 

KAMMER

Klaviertrio c-moll op. 5

Das Klaviertrio c-moll ist das einzige erhaltene Kammermusik-Werk aus Bruchs Frühzeit. Es entstand, bevor er das 20. Lebensjahr vollendet hatte und wurde am 4. November 1858 in seiner endgültigen Form öffentlich in Köln vorgestellt. Formal wartet es mit einigen Überraschungen auf: so beginnt es nicht mit einer langsamen Einleitung, sondern mit einem kompletten langsamen Satz, der attacca in das folgende Allegro übergeht. Im Schlußsatz wird das Tempo noch einmal auf Presto gesteigert, wir erleben also eine permanente Temposteigerung von Satz zu Satz. Zudem gibt es zahlreiche Bezüge zwischen den Themen der einzelnen Sätze.

Satz 1: Andante molto cantabile

Thema 1 erklingt sofort im Cello, wird von beiden Partnern übernommen, Thema 2 führt das Klavier ein, im Gegensatz zum choralartigen Thema 1 eine eher innige Melodie. Bruch verkürzt den Satz auf zwei Teile (Exposition und Reprise) plus Coda, in der Thema 1 entschieden gesteigert wird.

Satz 2: Allegro assai

Auch wenn der Satz nicht als Scherzo bezeichnet ist, ist die Form ABA mit Trio unverkennbar, bewusst einfach gestaltet, um nicht der von Hauptsache abzulenken: den beiden Ecksätzen. 

Satz 3: Presto

Kraftvoller Einsatz in die erweiterte Rondoform dieses Satzes, in dessen Mittelteil nach einem A und B Teil das Eröffnungsthema des ersten Satzes erscheint. Nach dieser Analogie startet ein Prestissimo, das noch einmal von dem – verkürzten - Andantezitat unterbrochen, ehe der Satz schwungvoll beendet wird.

 

Streichquartette c-moll op. 9/E-Dur op. 10

Diese beiden Streichquartette sind in der Lehrzeit bei Ferdinand Hiller entstanden und die letzten veröffentlichten Kammermusikwerke aus diesen frühen Jahren. Im Gefolge des klassischen Streichquartetts sind sie viersätzig, Eröffnungssatz in Sonatenform, Schlußsatz schulmässig als Rondo, der langsame Satz ist jeweils dreiteilig, es folgt in beiden Kompositionen ein scherzoartiger dritter Satz. Beide Quartette sind stark violinbestimmt, diesem Instrument fällt fast die gesamte thematische Vorstellung und Entwicklung zu.

Ungewöhnlich und durchaus originell verläuft der Beginn des ersten Satzes im op. 9: ein fast kadenzartiger Beginn der ersten Violine wird von den übrigen Instrumenten mit pochenden Rhythmen unterlegt, aus denen sich allmählich, im Tempo erheblich gesteigert das Thema 1 entwickelt.  Ebenso bemerkenswert ist die melodische Schönheit des Themas des zweiten Satzes: es hätte ´einen Ehrenplatz unter den populärsten Quartett-Melodien der Romantik verdient` (Karl Böhmer). Das Scherzo beginnt mit einem stark rhythmisch geprägten Thema, der lieblichere Mittelsatz taucht variiert noch einmal verkürzt vor den Schlussakkorden auf. Das Hauptthema des letzten Satzes hat Tarantella-Charakter, ergänzt von einem lyrischen Seitenthema.

Wie schon im op. 9 lässt Bruch auch E-Dur-Quartett die langsame Einleitung das Thema 1 konstituieren, das sich wiederum durch Beschleunigung bei gleichzeitigem Crescendo entwickelt. Thema 2 stellt den üblichen lyrischen Gegensatz. Der langsame Satz beginnt schlicht, ein passionierterer Mittelteil führt zurück zum Hauptthema, das in der Wiederholung vielfach verziert gestaltet wird.

Das Scherzo fällt durch eine thematische Erweiterung auf drei Themen auf: Ablauf A-B-A-C-A-B. Der Schlußsatz schlägt ein durchweg flottes Tempo an.

 

Vier Stücke für Cello und Klavier op. 70

Geschrieben 1896, sind die Stücke dem berühmten Cellisten Robert Hausmann gewidmet. Sie tragen folgende Titel: 1. Aria, 2. Finnländisch, 3. Tanz (Schwedisch), 4. Schottisch. Alle vier Stücke sind dreiteilig angelegt, abgesehen von Teil 1 stammen sie aus dem bei Bruch so beliebten Lied-Repertoire der genannten Länder. Abgesehen von Nummer 3 sind es getragene Stücke, die sich ganz ausgezeichnet für ein Hauskonzert eignen.


Acht Stücke für Klarinette, Viola und Klavier op. 83

Die Komposition erschien 1910 in Druck, entstanden sind die Stücke seit 1908, gespielt hat sie Bruchs Sohn Max Felix zum ersten Mal im Jahr 1909 in Bonn. Bruch verband mit den acht Stücken keinen festen Zyklusgedanken, ganz im Gegenteil riet er davon ab, das Werk komplett aufzuführen, auch die Reihenfolge konnten Interpreten aufgrund der Eigenständigkeit jedes einzelnen Teils beliebig verändern. Die nachfolgende Kurzbetrachtung hält sich an die ursprüngliche Reihenfolge.

Nr. 1 – Andante: monothematisch angelegt, wird die lyrisch-traurige Melodie gleichermassen von Viola und Klarinette getragen. Nr. 2 – Allegro con moto: trotz des schnelleren Tempos herrscht auch in diesem Teil – ebenfalls monothematisch angelegt – ein vorwiegend trauriger Tonfall. Nr. 3 - Andante con moto: mit mehr als sieben Minuten das längste des ´Zyklus`. Die Viola leitet ein, die Klarinette folgt mit einem eigenen Motiv, erst zum Ende vereinen sich beide Instrumente in der zuvor von der Klarinette vorgestellten Kantilene. Nr. 4 – Allegro agitato: erregte Rhythmen insbesondere der Viola und des Klaviers kennzeichnen diesen Teil. Nr. 5 – Rumänische Melodie, Andante: das erste von zwei Teilen mit Überschriften, Bruch sieht es als ´ganz herrliche rumänische Melodie`, der im dreiteiligen Aufbau eine erregte Mittelpassage gegenübersteht. Nr. 6 – Nachtgesang – Nocturno, Andante: das zweite Stück mit Überschrift, die getragene Melodie ist hauptsächlich von der Klarinette zu hören, traumhaft schön, die pure Nocturne-Seligkeit. Nr. 7 – Allegro vivace, ma non troppo: der komplette Gegensatz zu Nr. 6, hüpfende Rhythmen bestimmen das Geschehen, die im Klavier ständig vorhanden bleiben. Formal scheint eine kurze Sonatensatz-Form durch. Nr. 8 – Moderato: zum Abschluss wird auch das Klavier thematisch eingesetzt, taucht aus seiner reinen Begleiterrolle auf. Ein würdiger Abschluss des Werks, das sich inzwischen grosser Wertschätzung insbesondere von Klarinettisten erfreut, abzulesen an der erklecklichen Zahl von Einspielungen auf CD. Neben Sabine Meyer, Dieter Klöcker, Eduard Brunner und Paul Meyer haben sich in den letzten Jahren besonders jüngere Ensembles erfolgreich mit diesem Werk beschäftigt: zu nennen sind das Amici Ensemble, Trio Soleil sowie Kim Aseltine mit ihren Partnern Eva Stern und Joel Schoenhals. Es bleibt zu hoffen, dass die Acht Stücke auch den Weg auf das Konzertpodium finden.

 

Septett Es-Dur op. posth.

Erst 1987 wurde dieses Jugendwerk veröffentlicht. Bruch war gerade mal 11 Jahre alt, als er es schrieb. Die vier Sätze zeigen eine überraschend sichere Handschrift in der Instrumentation und seine melodische Erfindungsgabe konnte sich auch schon in ganz jungen Jahren sehen lassen.